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Meer Der Schilde
Morgan Rice


Ring der Zauberei #10
In MEER DER SCHILDE (Buch #10 im Ring der Zauberei) bringt Gwendolyn ihr Kind mit Thorgrin begleitet von mächtigen Omen auf die Welt. Mit der Geburt ihres Sohnes ändert sich das Leben von Gwendolyn und Thorgrin, und auch das Schicksal des Rings für immer. Thor soll die Legion wieder aufbauen. Er vertieft sein Training mit Argon und erhält eine Ehre, die er sich nie erträumt hätte, als er in die Silver eingeführt und ein Ritter wird. Bevor er den Ring verlässt, um seine Mutter zu finden, bereitet sich Thor für seine Hochzeit mit Gwendolyn vor. Doch es geschehen Dinge, die der Hochzeit in die Quere kommen könnten. Gwendolyn ist sichtlich mitgenommen von der Geburt ihres Sohnes, von der bevorstehenden Abreise ihres Gemahls und vom Tod ihrer Mutter. Der Ring versammelt sich zur königlichen Beisetzung, was die zerstrittenen Schwestern Luanda und Gwendolyn zu ihrer letzten Auseinandersetzung zusammenbringt, die schlimme Folgen haben wird. Argons Prophezeiungen klingen in Gwendolyns Ohren; sie fühlt, wie Gefahr für den Ring aufzieht, und treibt ihren Plan, ihr gesamtes Volk vor der Katastrophe zu retten, voran. Erec erhält Nachricht von der Krankheit seines Vaters und wird zurück nach Hause auf die Südlichen Inseln gerufen; Alistair begleitet ihn auf seiner Reise während ihre Hochzeitsvorbereitungen laufen. Kendrick sucht seine lange verlorengeglaubte Mutter und ist schockiert darüber, wen er findet. Conven kehrt nach Hause zurück, findet die Dinge nicht so vor, wie er sie erwartet hatte und fällt in noch tiefere Trauer. Steffen begegnet unerwartet seiner Liebe während Sandara Kendrick damit überrascht, dass sie den Ring verlassen und in ihre Heimat im Empire zurückkehren möchte. Reece verliebt sich in seine Cousine und als Tirus Söhne dies herausfinden, setzten sie einen üblen Verrat in Gang.







M E E R D E R S C H I L D E



(BAND #10 IM RING DER ZAUBEREI)



Morgan Rice


Ausgewählte Kommentare zu Morgan Rices Büchern



“DER RING DER ZAUBEREI hat alle Zutaten die für sofortigen Erfolg nötig sind: Anschläge und Gegenanschläge, Mysterien, Edle Ritter und blühende Beziehungen die sich mit gebrochenen Herzen, Täuschung und Betrug abwechseln. Die Geschichten werden sie über Stunden in ihrem Bann halten und sind für alle Altersstufen geeignet. Eine wunderbare Ergänzung für das Bücherregal eines jeden Liebhabers von Fantasy Geschichten.”

--Books and Movie Reviews, Roberto Mattos



“Rice hat das Talent den Leser von der ersten Seite an in die Geschichte hineinzusaugen. Mit ihrer malerischen Sprache gelingt es ihr ein mehr als nur ein Bild zu malen – es läuft ein Film vor dem inneren Auge ab. Gut geschrieben und von wahnsinnig schnellem Erzähltempo.”

--Black Lagoon Reviews (zu Verwandelt)



“Eine ideale Geschichte für junge Leser. Morgan Rice hat gute Arbeit beim Schreiben einer interessanten Wendung geleistet. Erfrischend und einzigartig, mit klassischen Elementen, die in vielen übersinnlichen Geschichten für junge Erwachsene zu finden sind. Leicht zu lesen, aber von extrem schnellem Erzähltempo... Empfehlenswert für alle, die übernatürliche Romanzen mögen.”

--The Romance Reviews (zu Verwandelt)



“Es packte meine Aufmerksamkeit von Anfang an und ließ nicht los…. Diese Geschichte ist ein erstaunliches Abenteuer voll rasanter Action ab der ersten Seite. Es gab nicht eine langweilige Seite.”

--Paranormal Romance Guild (zu Verwandelt)



“Voll gepackt mit Aktion, Romantik, Abenteuer und Spannung. Wer dieses Buch in die Hände bekommt wird sich neu verlieben.”

--vampirebooksite.com (zu Verwandelt)



“Eine großartige Geschichte. Dieses Buch ist eines von der Art, das man auch nachts nicht beiseite legen möchte. Das Ende war ein derart spannender Cliffhanger, dass man sofort das nächste Buch kaufen möchte um zu sehen, was passiert.“

--The Dallas Examiner (zu Geliebt)



“Ein Buch das den Vergleich mit TWILIGHT und den VAMPIRE DIARIES nicht scheuen muss. Eines, das Sie dazu verleiten wird, ununterbrochen Seite um Seite bis zum Ende zu lesen! Wer Abenteuer, Liebesgeschichten und Vampire gerne mag, für den ist dieses Buch genau das Richtige!”

--Vampirebooksite.com (zu Verwandelt)



“Morgan Rice hat sich wieder einmal als extreme talentierte Geschichtenerzählern unter Beweis gestellt… Dieses Buch spricht ein breites Publikum an, auch die jüngeren Fans des Vampir/Fantasy-Genres. Es endet mit einem unerwarteten Cliffhanger der den Leser geschockt zurücklässt.

--The Romance Reviews (zu Geliebt)


Гњber Morgan Rice



Morgan Rice schrieb die Nr. 1 Bestseller Serie DER WEG DER VAMPIRE, eine elfteilige Serie fГјr junge Leser. Ihrer Feder entstammt auch die Nr. 1 Bestseller Serie TRILOGIE DES ГњBERLEBENS, eine post-apokalyptischer Thriller-Serie aus derzeit zwei BГјchern (man darf auf das Dritte gespannt sein) und die epische Fantasy-Serie DER RING DER ZAUBEREI, das derzeit aus dreizehn BГјchern besteht und die Bestsellerlisten anfГјhrt.

Morgans Bücher gibt es als Audio oder Print-Editionen die in vielen Sprachen erschienen sind: Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Japanisch, Chinesisch, Schwedisch, Holländisch, Türkisch, Ungarisch, Tschechisch und Slowakisch – mehr Sprachen werden folgen.

Morgan freut sich, von ihren Lesern zu hören, darum besuchen Sie bitte www.morganricebooks.com (http://www.morganricebooks.com) um sich für Email-Updates zu registrieren. Erhalten sie ein kostenloses Buch, Geschenke, laden sie die kostenlose App herunter und erhalten sie exklusiv die neusten Nachrichten. Oder folgen Sie Morgan auf Facebook und Twitter. Morgan freut sich auf Ihren Besuch!



BГјcher von Morgan Rice



DER RING DER ZAUBEREI

QUESTE DER HELDEN (Band #1)

MARSCH DER KГ–NIGE (Band #2)

LOS DER DRACHEN (Band #3)

RUF NACH EHRE (Band #4)

SCHWUR DES RUHMS (Band #5)

ANGRIFF DER TAPFERKEIT(Band #6)

A RITE OF SWORDS – RITUS DER SCHWERTER (Band #7)

A GRANT OF ARMS - GEWГ„HR DER WAFFEN (Band #8)

A SKY OF SPELLS – HIMMEL DER ZAUBER (Band #9)

A SEA OF SHIELDS – MEER DER SCHILDE (Band #10)

demnächst auf Deutsch erhältlich

A REIGN OF STEEL – REGENTSCHAFT DES STAHLS (Band #11)

A LAND OF FIRE – LAND DES FEUERS (BAND #12)

A RULE OF QUEENS – DIE HERRSCHAFT DER KÖNIGINNEN (BAND #13)

DIE TRILOGIE DES ГњBERLEBENS

ARENA EINS: DIE SKLAVENTREIBER (BAND #1)

ARENA TWO -- ARENA ZWEI (Band #2)



DER WEG DER VAMPIRE

GEWANDELT (Band #1 Der Weg Der Vampire)

VERGГ–TTERT (Band #2 Der Weg Der Vampire)

VERRATEN (Band #3 Der Weg Der Vampire)

BESTIMMT (Band #4 Der Weg Der Vampire)

BEGEHRT (Band #5 Der Weg Der Vampire)

BETROTHED -- VERMГ„HLT (Band #6)

VOWED -- GELOBT (Band #7)

demnächst auf Deutsch erhältlich

FOUND -- GEFUNDEN (Band #8)

RESURRECTED – ERWECKT (Band #9)

CRAVED – ERSEHNT (Band #10)

FATED – BERUFEN (Band #11)











(https://itunes.apple.com/de/artist/morgan-rice/id417552527?mt=11&uo=4)

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Copyright В© 2013 by Morgan Rice

Alle Rechte vorbehalten. Mit den im U.S. Copyright Act von 1976 erlaubten Ausnahmen ist es nicht gestattet, jeglichen Teil dieser Publikation in jeglicher Form oder über jegliche Mittel ohne die vorherige Erlaubnis des Autors zu vervielfältigen, zu verteilen oder zu übertragen, oder in einer Datenbank oder einem Abrufsystem zu speichern.

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Diese Geschichte ist frei erfunden. Namen, Figuren, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder ein Produkt der Phantasie des Autors oder werden im fiktionalen Sinne verwendet. Jegliche Ähnlichkeit mit existierenden Personen, tot oder lebendig, ist rein zufällig.

Titelbild Copyright Razzomgame, unter Lizenz von Shutterstock.com


INHALT



KAPITEL EINS (#u8f403b9f-99f3-52dd-9e80-dd4461f82948)

KAPITEL ZWEI (#uc2e09e09-a115-535b-8432-639e1f4449eb)

KAPITEL DREI (#ua8844589-d807-5e4b-9ab6-c5b0b8c3cf43)

KAPITEL VIER (#u526abf81-32b0-5742-b194-b8e4112f3a18)

KAPITEL FГњNF (#u02ce09dd-c806-59c3-9f4f-4e8352d39559)

KAPITEL SECHS (#u83136d03-1577-5577-83ed-67898aa06b0a)

KAPITEL SIEBEN (#u4cf964ea-2788-5436-a991-aa62ad5c4f4a)

KAPITEL ACHT (#u70f82012-2eca-5849-8ae7-5becb33e3395)

KAPITEL NEUN (#ua7bf38af-b5cc-53cb-8772-634e9dd54ab3)

KAPITEL ZEHN (#u1244e370-3117-5b78-86ea-d092c44b9ea2)

KAPITEL ELF (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWГ–LF (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL FГњNFZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNZEHN (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL FГњNFUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL FГњNFUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SECHSUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL SIEBENUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ACHTUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL NEUNUNDDREISSIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL EINUNDVIERZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL ZWEIUNDVIERZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL DREIUNDVIERZIG (#litres_trial_promo)

KAPITEL VIERUNDVIERZIG (#litres_trial_promo)


Westmoreland. “O hätten wir nun hier

Nur ein Zehntausend von dem Volk in England…”

König Heinrich. “… Nein, bester Vetter:

…Je klein're Zahl, je größres Ehrenteil.

Wie Gott will! Wünsche nur nicht einen mehr!”



--William Shakespeare

Heinrich V




KAPITEL EINS


Gwendolyn schrie als der Schmerz sie förmlich zerriss.

Sie lag auf dem Rücken im Wildblumenfeld. Ihr Bauch schmerzte noch mehr als sie sich das vorgestellt hatte. Sie wand sich und presste, versuchte das Baby zur Welt zu bringen. Innerlich flehte sie, dass der Schmerz aufhören möge, dass sie es irgendwohin unter Menschen schaffen konnte, bevor das Baby kam. Doch alles flehen half nichts, sie wusste, dass das Baby kam. Jetzt. Ob sie es wollte oder nicht.

Bitte, Gott, nicht jetzt! betete sie. Gewähre mir nur ein paar Stunden. Lass uns zuerst irgendwo in Sicherheit sein.

Doch es sollte nicht so sein. Gwendolyn spürte, wie eine weitere Welle schrecklicher Schmerzen ihren Körper durchflutete, und sie lehnte sich zurück als sie spürte, wie sich das Baby in ihr drehte. Nicht mehr lange. Sie wusste, dass es nicht mehr aufzuhalten war.

Sie presste und zwang sich dazu zu atmen, wie es ihr die Hebammen beigebracht hatten. Sie wollte ihrem Baby helfen, doch es schien nicht zu funktionieren, und sie stöhnte vor Schmerzen.

Als der Schmerz ein wenig nachlieГџ, setzte sie sich wieder auf und sah sich um. Kein Mensch war zu sehen.

„HILFE!“, schrie sie so laut sie konnte.

Doch niemand antwortete. Gwendolyn lag inmitten der sommerlichen Felder, weit weg von jeder Menschenseele, und ihren Schreien lauschten nur der Wind und die Bäume.

Gwendolyn versuchte, wie immer stark zu bleiben, doch sie musste sich eingestehen, dass sie Angst hatte. Weniger um sich selbst als um ihr Baby. Was, wenn niemand sie finden wГјrde?

Selbst wenn sie es alleine zur Welt bringen konnte, wie sollte sie danach mit dem Baby nach Hause kommen? Sie befГјrchtete, dass das Baby und sie an diesem Ort sterben wГјrden.

Gwendolyn dachte zurück an das Reich der Toten, an den schicksalsschweren Augenblick mit Argon, als sie ihn befreit hatte, an die Wahl, die sie hatte treffen müssen. Das Opfer. Die unerträgliche Entscheidung, die ihr aufgezwungen worden war, zwischen ihrem Baby und ihrem Mann zu wählen. Sie weinte, als sie an ihre Entscheidung dachte. Warum verlangte das Leben immer wieder Opfer von ihr?

Gwendolyn hielt den Atem an, als das Baby sich plötzlich in ihr bewegte. Der Schmerz war so stark, dass er ihr vom Kopf bis zu den Zehen schoss. Sie fühlte sich, als würde sich von innen heraus zerrissen.

Gwendolyn bog ihre Rücken und stöhnte während sie zum Himmel aufblickte, und versuchte sich vorzustellen, dass sie an irgendeinem anderen Ort war. Egal wo, nur nicht hier. Sie versuchte, sich in Gedanken an etwas festzuklammern, etwas, das ihr einen Gewissen Frieden geben würde.

Sie dachte an Thor. Sie sah sich mit ihm zusammen, als sie sich das erste Mal begegnet waren. Er hielt sie bei der Hand während sie über genau diese Felder hier liefen. Krohn sprang um ihre Beine herum. Sie versuchte ein Bild in ihrem Kopf zum Leben zu erwecken und versuchte, sich auf die Details zu konzentrieren.

Doch es funktionierte nicht. Sie riss die Augen weit auf, als der Schmerz sie plötzlich in die Realität zurückholte.

Sie fragte sich, warum sie mutterseelenallein hier oben war – dann erinnerte sie sich an Aberthol, der ihr die Nachricht von ihrer sterbenden Mutter gebracht hatte, und dass sie sofort losgestürmt war, um sie zu sehen. Musste sie etwa zur gleichen Zeit wie ihre Mutter sterben?

Plötzlich schrie sie auf. Sie fühlte sich, als wäre der Augenblick ihres Todes gekommen. Doch als sie nach unten blickte, sah sie, dass der Kopf ihres Babys hervortrat. Sie lehnte sich zurück und schrie während sie, schwitzend und mit rotem Gesicht, immer weiter presste.

Mit einer letzten Anstrengung zerriss plötzlich ein weiterer Schrei die Luft.

Der Schrei eines Babys.

Plötzlich verdunkelte sich der Himmel. Gwendolyn blickte auf und sah mit Schrecken, wie der wunderschöne Sommertag ohne Vorwarnung plötzlich zur finsteren Nacht wurde. Sie sah zu, wie beide Sonnen plötzlich von den Monden verdeckt wurden.

Eine totale Sonnenfinsternis beider Sonnen. Gwendolyn konnte es kaum fassen: Sie wusste, dass das nur einmal alle zehntausend Jahre vorkam.

Gwendolyn betrachtete voller Angst den Himmel. Plötzlich wurde die unheimliche Stille, die mit der Dunkelheit gekommen war, von Blitzen zerrissen, und Gwendolyn spürte Hagel auf ihrem Körper.

Sie wusste, dass es ein tiefgründiges Omen war, dass all das genau in dem Augenblick der Geburt ihres Babys geschah. Sie blickte auf ihr Kind herab und wusste sofort, dass es weitaus mächtiger war, als sie begreifen konnte. Er kam aus einem anderen Reich.

Er weinte, und Gwendolyn griff instinktiv nach ihm und zog ihn auf ihre Brust und legte schГјtzend die Arme um ihn.

Er begann zu wimmern, und in genau dem Augenblick begann die Erde zu beben. Sie spürte wie der Boden erzitterte, und in der Ferne konnte sie sehen, wie Felsbrocken die Hügel hinunterrutschten. Sie spürte die Macht des Kindes durch ihre Adern pulsieren, konnte fühlen, dass er das ganze Universum veränderte.

Während sie ihn fest in den Armen hielt, fühlte sie sich mit jedem Augenblick schwächer; sie wusste, sie verlor zu viel Blut. Ihr wurde schwindelig, sie war zu schwach, sich zu bewegen, kaum stark genug, ihr Baby zu halten, das nicht aufhören wollte, an ihrer Brust zu weinen. Sie konnte ihre Beine kaum fühlen.

Gwendolyn hatte eine dunkle Vorahnung, dass sie hier, mitten auf dem Feld, sterben würde. Ihr war egal, was aus ihr wurde, doch sie konnte den Gedanken daran, dass auch ihr Baby sterben könnte, nicht ertragen.

„NEIN!“ schrie sie, und kratzte das letzte Bisschen Kraft zusammen, um gen Himmel zu protestieren.

Als Gwendolyn zurück zu Boden sank und flach auf dem Rücken lag, hörte sie einen Schrei als Antwort. Kein menschlicher Schrei. Es war der Schrei eines uralten Wesens.

Gwendolyn begann, das Bewusstsein zu verlieren. Mit flatternden Augenlidern blickte sie auf, und sah wie sich eine riesige Kreatur vom Himmel zu ihr hinab schwang. Da erkannte sie in der furchteinflößenden Kreatur ein Wesen, das sie über alles liebte.

Es war Ralibar.

Das letzte, was Gwendolyn sah, bevor ihre Augen ihr den Dienst versagten, war, dass sich ihr geliebter Ralibar mit glГјhenden Augen vom Himmel hinabschwang und mit ausgefahrenen Krallen auf sie zuflog.




KAPITEL ZWEI


Luanda stand vor Schreck stocksteif da, während sie auf Koovias toten Körper hinabblickte und noch immer den blutverschmierten Dolch in Händen hielt. Sie konnte kaum fassen, was sie gerade getan hatte.

Der ganze Festsaal verstummte und starrte sie verblüfft an – niemand wagte es, sich zu bewegen. Sie alle starrten auf Koovias Leichnam zu ihren Füssen, der unantastbare Koovia, der große Krieger des McCloud’schen Königreichs, der Mann, der nur vom alten König McCloud übertroffen wurde. Die Spannung war mehr als greifbar.

Luanda war von allen am meisten geschockt. Ihre Hand, mit der sich noch immer den Dolch hielt, brannte; sie spürte, wie Hitze ihren Körper durchströmte. Sie war freudig erregt und geschockt zugleich, dass sie gerade eben einen Mann getötet hatte. Doch vor allem war sie stolz, dass sie es getan hatte, stolz, dass sie dieses Monster aufgehalten hatte, bevor er Hand an die Braut oder den Bräutigam legen konnte. Er hatte bekommen, was er verdient hatte. Alle McClouds waren Wilde.

Ein Schrei hallte durch den Saal, und als Luanda aufblickte, sah sie Koovias engsten Vertrauten, der mit rachelГјsternen Augen auf sie zustГјrzte. Er hob sein Schwert und zielte auf ihre Brust.

Luanda war noch immer viel zu benommen, um reagieren zu können, und der Mann war schnell. Sie wappnete sich, dann sie wusste, dass sie im nächsten Moment spüren würde, wie harter, kalter Stahl ihr Herz durchbohrte. Doch Luanda war es egal. Was auch immer ihr jetzt zustoßen würde, war nicht mehr von Bedeutung, nicht nachdem sie diesen Mann getötet hatte.

Bereit zu sterben, schloss Luanda die Augen, als der Stahl auf sie herabfuhr – und war überrascht, als sie plötzlich das Klirren von Metall über sich hörte.

Sie riss die Augen auf und sah Bronson, der den Schlag des Kriegers mit seinem Schwert abwehrte. Es überraschte sie; Luanda hatte nicht geglaubt, dass ihr Gemahl dazu fähig war, und schon gar nicht, dass er in der Lage war, einen so mächtigen Schlag mit nur einer Hand abzuwehren. Doch am allermeisten berührte es sie, als sie erkannte, dass er sie immer noch genug liebte, um sein Leben für sie zu riskieren.

Bronson schwang sein Schwert herum, und selbst mit nur einer Hand war er so geschickt und hatte so viel Kraft, dass er dem Krieger sein Schwert durchs Herz rammte und ihn auf der Stelle tötete.

Luanda konnte es kaum glauben. Bronson hatte zum wiederholten Male ihr Leben gerettet. Sie fühlte sich tief in seiner Schuld, und eine überwältigende Welle der Zuneigung für ihn überrollte sie. Vielleicht war er tatsächlich stärker, als sie gedacht hatte.

Schreie erhoben sich auf beiden Seiten des Festsaals als sich McClouds und MacGils aufeinander stürzten um einander zu töten. Alle Masken der vorgespiegelten Höflichkeit fielen, die sie während der Hochzeitsfeierlichkeiten am Tag und des Banketts mühsam aufrechterhalten hatten. Es herrschte offener Krieg: Ein Krieger gegen den anderen, aufgeheizt durch Alkohol, angefacht durch Wut, von der Schande, dass die McClouds versucht hatten die Ehre der Braut zu verletzen.

Die Männer sprangen über den massiven Holztisch, im Bestreben, sich gegenseitig zu töten. Sie stachen wütend aufeinander ein, schlugen einander ins Gesicht, rangen miteinander, warfen Speisen und Wein vom Tisch. Der Saal war so beengt und voller Menschen, dass sie beinahe Schulter an Schulter kämpften. Sie stöhnten und schrien während der Saal in ein heilloses, blutiges Chaos verfiel.

Luanda versuchte, die Fassung wiederzugewinnen. Die Kämpfe waren so plötzlich und intensiv ausgebrochen, die Männer so voller Blutdurst, so konzentriert darauf, einander zu töten, dass sie die einzige war, die sich umsah und beobachtete, was um sie herum geschah. Sie betrachtete alles wie aus einer entrückten Perspektive aus. Sie war die einzige, die bemerkte, wie die einige McClouds langsam eine Türe nach der anderen verbarrikadierten sich dabei hinaus schlichen.

Luandas Nackenhaare stellten sich auf, als sie plötzlich erkannte, was geschah. Die McClouds schlossen alle im Saal ein – und flohen aus ganz bestimmtem Grund. Sie sah zu, wie sie die Fackeln von den Wänden nahmen, und riss in Panik ihre Augen auf. Mit Schrecken erkannte sie, dass die McClouds den Saal, und mit ihm alle, die darin gefangen waren, abbrennen wollten – selbst ihre eigenen Clansmitglieder.

Luanda hätte es wissen müssen. Die McClouds waren skrupellos, und bereit, alles zu tun, um zu siegen.

Luanda sah sich um, und bemerkte, dass eine TГјre noch nicht verschlossen war.

Sie bahnte sich mit den Ellenbogen den Weg und rannte zur einzigen verbliebenen TГјre. Sie sah, dass ein McCloud ebenfalls auf die TГјre auf der anderen Seite des Raumes zu stГјrmte, und sie rannte schneller bis ihre Lungen fast barsten, fest entschlossen, ihm zuvorzukommen.

Der McCloud hatte Luanda nicht kommen sehen, als er an der Tür ankam, und griff den dicken, hölzernen Riegel, um sie zu verbarrikadieren. Doch Luanda stürzte sich von der Seite auf ihn, riss ihren Dolch hoch und rammte ihn ihm in den Rücken.

Der McCloud schrie auf, bäumte sich auf, und fiel zu Boden.

Luanda nahm den Riegel, riss ihn von der TГјr, warf sie weit auf und rannte nach drauГџen.

Nachdem sich ihre Augen an die Dunkelheit draußen gewöhnt hatten, sah sich Luanda um und sah, wie sich McClouds mit Fackeln draußen vor dem Saal aufgestellt hatten und ihn in Brand setzten wollten. Luanda wurde von wilder Panik übermannt. Das durfte sie nicht zulassen.

Sie fuhr herum, rannte zurГјck in den Saal, griff Bronson und zog ihn zur Seite.

„Die McClouds!“, schrie sie eindringlich. „Sie wollen den Saal niederbrennen! Hilf mir alle rauszuholen! Mach schnell!“

Bronson verstand und riss seine Augen vor Angst weit auf, und ohne zu zögern rannte er zu den Anführern der MacGils hinüber, riss sie aus dem Kampfgeschehen, schrie ihnen zu, was draußen vor sich ging und gestikulierte in Richtung der Tür. Mit Schrecken in den Augen erkannten auch sie, was vor sich ging und brüllten ihren Männern Befehle zu.

Sehr zu Luandas Zufriedenheit beobachtete sie, wie sich die MacGils plötzlich vom Kampfgeschehen lösten und auf die rettende Tür zu rannten.

Während sie die Flucht organisierten, verloren Luanda und Bronson keine Zeit. Mit Schrecken sah sie, dass ein weiterer McCloud darauf zustürmte, den Riegel aufhob, und versuchte abermals, die Tür zu verriegeln. Sie war sich sicher, dass sie ihn diesmal nicht rechtzeitig erreichen konnte.

Diesmal reagierte Bronson; er riss sein Schwert hoch über seinen Kopf, holte aus und warf es. Es flog in hohem Bogen durch die Luft bis es schließlich im Rücken des McCloud steckenblieb. Der Krieger schrie auf und ging zu Boden, während Bronson zur Tür stürzte und sie gerade noch rechtzeitig weit aufriss.

Dutzende von MacGils stürmten durch die geöffnete Tür, dicht gefolgt von Luanda on Bronson, die gewartet hatten, bis auch der letzte MacGil den Saal verlassen hatte. Die McClouds im Saal sahen sich irritiert um, weshalb ihre Feinde so plötzlich den Rückzug angetreten hatten.

Als schlieГџlich alle MacGils den Saal verlassen hatten, schlug Luanda die TГјr zu, hob gemeinsam mit einigen anderen den Riegel auf und verbarrikadierte die TГјr von auГџen, sodass kein McCloud ihnen folgen konnte.

Die McClouds drauГџen begannen zu bemerken, was vor sich ging, lieГџen ihre Fackeln fallen, zogen stattdessen ihre Schwerter und wollten sich auf die McClouds stГјrzen.

Doch Bronson und die anderen ließen ihnen keine Zeit. Sie griffen die McClouds, die um das Gebäude herum standen an, und töten die meisten von ihnen, während sie noch versuchten, ihre Waffen zu ziehen. Die meisten der McClouds waren noch immer im Inneren des Saals und die wenigen Dutzend draußen konnten sich nicht der Welle der wütenden MacGils erwehren, die sie schnell und brutal töteten.

Luanda stand mit Bronson an ihrer Seite neben den MacGils. Alle atmeten schwer, doch waren ГјberglГјcklich, am Leben zu sein.

Während sie dastanden, begannen die McClouds drinnen, die Türen zu rammen, im Versuch ihrerseits nach draußen zu entkommen. Die MacGils wandten sich um, unsicher was zu tun war, und sahen Bronson an.

„Du musst diese Rebellion ein fГјr alle Mal beenden“, stellte Luanda nachdrГјcklich fest. „Du musst ihnen mit der gleichen BrutalitГ¤t begegnen, die sie dir angedeihen lassen wollten.“

Bronson sah sie zögernd an, und sie konnte die Unsicherheit in seinen Augen sehen.

„Ihr Plan ist nicht aufgegangen“, sagte er. „Sie sind im Saal gefangen. Wir werden sie unter Arrest stellen.“

Luanda schГјttelte entschlossen den Kopf.

„Nein!“ schrie sie. „Diese MГ¤nner hier sehen zu dir auf. Sie brauchen einen AnfГјhrer. Das ist der grausame Teil der Welt. Wir sind nicht in King’s Court. Hier regiert die BrutalitГ¤t. Nur mit Gewalt gewinnst du Respekt. Diese MГ¤nner da drin dГјrfen nicht am Leben bleiben. Wir mГјssen ein Exempel statuieren!“

Bronson sträubte sich entsetzt.

„Was sagst du da?“, fragte er. „Dass wir sie bei lebendigem Leib verbrennen sollen? Dass wir sie mit derselben Gewalt behandeln sollen, die sie sonst gegen uns gerichtet hГ¤tten?“

Luanda knirschte mit den Zähnen.

„Wenn du es nicht tust, merk dir meine Worte: Diese MГ¤nner werden eines Tages dich tГ¶ten.“

Die MacGils sammelten sich um sie herum und hörten die Diskussion mit an. Luanda kochte vor Frustration. Sie liebte Bronson – schließlich war er es gewesen, der ihr Leben gerettet hatte. Und doch hasste sie, wie schwach, wie naiv er doch sein konnte.

Luanda hatte genug von Männern, die beim Regieren falsche Entscheidungen fällten. Sie sehnte sich danach, selbst zu regieren. Sie wusste, dass sie besser als jeder einzelne von ihnen war. Sie wusste, dass manchmal eine Frau die Welt der Männer beherrschen musste.

Luanda, die ihr ganzes Leben lang an den Rand gedrängt worden war, hatte das Gefühl, dass sie nicht mehr einfach nur zusehen konnte. Schließlich waren diese Männer hier nur dank ihr überhaupt am Leben. Sie war die Tochter eines Königs – und noch dazu die Erstgeborene.

Bronson stand zögernd da und starrte sie an, und Luanda konnte sehen, dass er nicht die Initiative ergreifen würde.

Sie konnte es nicht länger ertragen. Luanda schrie frustriert auf, stürmte los, riss einem der Männer die Fackel aus der Hand, und während alle anderen Männer ihr in fassungsloser Stille zusahen, stürmte sie an ihnen vorbei und warf die Fackel.

Die Fackel erhellte die Nacht während sie durch die Luft flog und auf dem strohgedeckten Dach des Festsaals landete.

Zufrieden sah Luanda zu, wie sich die Flammen auszubreiten begannen.

Die MacGils um sie herum jubelten auf und folgten ihrem Beispiel. Jeder von ihnen nahm eine Fackel und warf sie, und bald loderten die Flammen aus dem Dach und erhellten die Nacht. Bald stand der ganze Saal in Brand und die Hitze versengte ihre Gesichter.

Die Schreie der McClouds, die im Inneren gefangen waren, hallten durch die Nacht, und während Bronson zurückwich stand Luanda mit in die Hüften gestemmten Händen da: kalt, hart, erbarmungslos, und genoss jeden einzelnen Schrei.

Sie wandte sich Bronson zu, der mit im Schock weit geöffnetem Mund dastand.

„Das“, sagte sie trotzig, „nennt man regieren!“




KAPITEL DREI


Reece lief Seite an Seite neben Stara her, immer wieder berührten sich wie zufällig ihre Hände, doch sie gingen nicht Hand in Hand. Sie liefen durch die endlosen, bunten Blumenwiesen hoch oben in den Bergen, von wo aus man einen wunderschönen Ausblick über die Oberen Inseln hatte. Sie wanderten stumm. Reece wurde von widersprüchlichen Gefühlen überwältigt und wusste nicht, was er sagen sollte.

Reece dachte an jenen schicksalhaften Augenblick zurück, als sich ihre Blicke am Bergsee gekreuzt hatten. Er hatte seine Entourage fortgeschickt – er brauchte Zeit allein mit ihr. Sie hatten die beiden nur widerwillig allein gelassen – besonders Matus, der ihre Geschichte nur zu gut kannte, doch Reece hatte darauf bestanden. Stara war wie ein Magnet, der Reece anzog, und er wollte niemand anderen um sich haben. Er brauchte Zeit, um mit ihr zu sprechen, zu verstehen, warum sie ihn mit demselben liebevollen Blick ansah, den auch er für sie hatte; zu verstehen, ob all das real war, und was mit ihnen geschah.

Reeces Herz pochte, während sie weiterliefen, und er war nicht sicher, was er als nächstes tun oder sagen sollte. Sein Verstand schrie ihn an, sich umzudrehen und davonzulaufen, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und Stara zu bringen, das nächste Schiff zurück zum Festland zu nehmen, und nie wieder an sie zu denken. Er sollte nach Hause zurückkehren, wo seine künftige Gemahlin treu auf ihn wartete. Schließlich liebte Selese ihn, und er liebte sie. Und ihre Hochzeit war nur noch wenige Tage entfernt.

Reece wusste, dass dies die kluge Entscheidung gewesen wäre. Die richtige Entscheidung.

Doch sein Verstand wurde überwältigt von einer Welle von Gefühlen, von einer Leidenschaft, die er nicht beeinflussen konnte, die sich der Kontrolle seines rationalen Verstandes widersetzte. Die Leidenschaft zwang ihn, an Staras Seite zu bleiben, mit ihr durch diese Felder zu wandern. Es war der unkontrollierbare Teil seiner selbst, den er nie verstanden hatte, der ihn sein ganzes Leben lang angetrieben hatte, überstürzte Entscheidungen zu treffen und seinem Herzen zu folgen. Er hatte ihn nicht immer die besten Entscheidungen treffen lassen. Doch Reeces leidenschaftliche Seite war stark, und er konnte sie nicht immer kontrollieren.

Während er neben Stara her ging, fragte er sich, ob sie genauso fühlte wie er. Die Rückseite ihrer Hand streifte immer wieder seine, und er glaubte, ein leises Lächeln auf ihren Lippen zu sehen. Doch er konnte sie schlecht lesen – das war schon immer so gewesen. Das erste Mal, als er ihr begegnet war – sie waren noch kleine Kinder gewesen – war er wie vom Donner gerührt dagestanden und hatte tagelang an nichts anderes mehr denken können.

Da war etwas in ihren fast durchscheinenden Augen, etwas in ihrer Haltung, so stolz und edel, wie ein Wolf, der ihn ansah, das hypnotisierend auf ihn wirkte.

Als Kinder hatten sie gewusst, dass eine Beziehung unter Verwandten verboten war. Doch das hatte ihnen nie wirklich etwas ausgemacht. Zwischen Ihnen gab es etwas, etwas, das so stark war, zu stark, das sie gegenseitig anzog, egal, was die Welt darГјber dachte. Sie hatten als Kinder zusammen gespielt, waren sofort beste Freunde geworden und hatten ihre Gegenwart der ihrer anderen Cousins und Cousinen bevorzugt. Wann immer er die Oberen Inseln besuchte, verbrachte er jeden Augenblick mit ihre; sie hatte seine GefГјhle erwidert und hatte schon Tage vor seiner Ankunft am Ufer auf sein Schiff gewartet.

Zuerst waren sie nur gute Freunde gewesen. Doch als sie älter wurden, hatte sich in einer schicksalhaften Nacht alles geändert. Obwohl es verboten war, war ihre Freundschaft zu etwas Stärkerem geworden, und keiner von ihnen war in der Lage gewesen, zu widerstehen.

Reece hatte die Oberen Inseln zwar wieder verlassen, war jedoch stets in seinen Träumen bei ihr, abgelenkt bis zur Schwermut und monatelang von Schlaflosigkeit geplagt. Jede Nacht, wenn er sich zum Schlafen hinlegte, sah er ihr Gesicht und wünschte sich, dass weder der Ozean noch die Familie zwischen ihnen stehen würden.

Reece wusste, dass sie das gleiche spГјrte; er hatte zahllose Briefe von ihr erhalten, in der sie ihre Liebe zu ihm in Worte gefasst, zu ihm Гјber das Meer gebracht von einem Heer von Falken. Er hatte zurГјckgeschrieben, doch seine Worte waren nicht so geschliffen gewesen wie ihre.

Der Tag, an dem es zum Bruch zwischen ihren Familien gekommen war, war einer der schlimmsten Tage in Reeces Leben gewesen. Es war der Tag, an dem Tirus ältester Sohn gestorben war, vergiftet mit dem Gift, das Tirus für Reeces Vater vorgesehen hatte. Doch trotzdem hatte Tirus König MacGil die Schuld gegeben. Das bedeutete den endgültigen Bruch und brach Reeces – und Staras – Herz. Sein Vater war genauso mächtig wie Staras, und beide hatten ihnen verboten, mit den anderen MacGils zu kommunizieren. Sie waren nie wieder auf die Oberen Inseln gereist, und Reece hatte nächtelang gelitten, wachgelegen, geträumt und gehofft, dass er Stara wiedersehen könnte. Von ihren Briefen wusste er, dass sie genauso fühlte.

Doch eines Tages kamen keine Briefe mehr. Reece hatte den Verdacht, dass sie irgendwie abgefangen worden waren, doch er wusste es nie sicher. Er hatte den Verdacht, dass seine Briefe sie auch nicht mehr erreichten. Nach einer Weile musste Reece die schmerzvolle Entscheidung treffen, die Gedanken an sie aus seinem Herzen zu verdrängen.

Die Erinnerung an Staras Gesicht flackerte zu den seltsamsten Zeiten auf, und er hatte nie aufgehört sich zu fragen, was aus ihm geworden war. Dachte sie auch immer noch an ihn? Hatte sie einen anderen geheiratet?

Sie heute wiederzusehen, hatte alles zurückgebracht. Reece erkannte, wie sehr die Wunde in seinem Herzen noch immer brannte, gerade so, als hätte er sie gerade eben erst verlassen. Sie war älter, weiblicher, eine noch schönere Version ihrer selbst, wenn das überhaupt möglich war. Sie war eine Frau. Und ihr Blick war noch hypnotisierender, als er es zuvor gewesen war. In ihrem Blick sah Reece ihre Liebe und er fühlte sich besser zu wissen, dass auch sie noch dieselben Gefühle für ihn empfand wie er für sie.

Reece wollte an Selese denken. Soviel schuldete er ihr. Doch so sehr er sich auch bemГјhte, es gelang ihm nicht.

Reece wanderte mit Stara Гјber den BergrГјcken, beide schwiegen, keiner von ihnen wusste, was er sagen sollte. Wo sollten sie anfangen, die Leere der verlorenen Jahre zu fГјllen?

„Ich habe gehГ¶rt, dass du bald heiraten wirst“, brach Stara schlieГџlich das Schweigen.

Reece spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. Der Gedanke an seine Hochzeit mit Selese hatte ihn immer mit einer Welle von Liebe und freudiger Erregung erfüllt; doch jetzt, wo Stara ihn daran erinnerte, fühlte er sich am Boden zerstört, als hätte er sie betrogen.

„Es tut mir leid“, antwortete Reece.

Er wusste nicht, was er sonst hätte sagen sollen. Er wollte sagen: Ich liebe sie nicht. Ich weiß nun, dass es ein Fehler war. Ich will alles ändern. Ich will stattdessen dich heiraten.

Doch er liebte Selese. Soviel musste er sich eingestehen. Es war eine andere Art von Liebe, wenn auch nicht so intensiv wie die, die er für Stara empfand. Reece war verwirrt. Er wusste nicht, was er denken oder fühlen sollte. Welche liebe war stärker? Gab es überhaupt so etwas wie eine Rangstelle, wenn es um Liebe ging? Wenn man jemanden liebt, sollte das dann nicht heißen, dass man denjenigen bedingungslos, ohne Wenn und Aber liebte?

„Liebst du sie?“, fragte Stara.

Reece holte tief Luft, fühlte sich gefangen in einem Sturm der Gefühle und wusste kaum, was er antworten sollte. Sie liefen für eine Weile stumm weiter. Währenddessen ordnete er seine Gedanken, bis er endlich antworten konnte.

„Ja“, sagte er mit Schmerz im Blick. „Ich liebe sie. Ich kann nicht lГјgen.“

Reece blieb stehen und ergriff zum ersten Mal Staras Hand.

Sie sah ihn an.

„Doch ich liebe dich auch“, fГјgte er hinzu.

Er sah, wie sich ihre Augen mit Hoffnung fГјllten.

„Liebst du mich mehr als sie?“, fragte sie leise, hoffnungsvoll.

Reece Гјberlegte.

„Ich habe dich mein ganzes Leben lang geliebt“, sagte er schlieГџlich. „Du wirst auf ewig das einzige Gesicht der Liebe sein, das ich kenne. Du bist fГјr mich der Inbegriff von Liebe. Ich liebe Selese. Doch mit dir… ist es, als wГ¤rst du ein Teil von mir. Wie ich selbst. Wie etwas, ohne dass ich nicht leben kann.“

Stara lächelte. Sie hielt seine Hand und sie gingen mit einem Lächeln auf dem Gesicht weiter.

„Du hast keine Ahnung wie viele NГ¤chte ich geweint habe, weil ich dich vermisst habe“, gab sie zu und wandte den Blick ab. „Ich habe dir meine Worte mit den Falken geschickt – doch mein Vater hat sie abgefangen. Nach dem Bruch konnte ich dich nicht mehr erreichen. Ich habe sogar ein oder zweimal versucht, mich auf ein Schiff zum Festland zu schleichen – doch sie haben mich erwischt.“

Reece war überwältigt all das zu hören. Er hatte keine Ahnung gehabt. Er hatte sich immer gefragt wie Stara nach dem Bruch ihrer Familien über ihn denken würde. Doch das zu hören, ließ ihn sich ihr nur noch näher fühlen. Er wusste nun, dass nicht nur er so fühlte. Er kam sich nicht mehr ganz so verrückt vor. Was zwischen ihnen war, war tatsächlich real./

„Und ich habe nie aufgehГ¶rt, von dir zu trГ¤umen“, antwortete Reece.

Schließlich erreichten sie den Gipfel des Gebirgszugs, und sie blieben Seite an Seite stehen um den Ausblick über die Oberen Inseln zu genießen. Von diesem Punkt aus, konnte man unendlich weit sehen, über die Inselgruppe hinweg zum Ozean, den Nebel, der darüber hing, die Brandung, und hunderte von Schiffen der Königin, die entlang der Küste vor Anker lagen.

Sie standen eine Zeit lang still da, hielten einander an den Händen und genossen den Augenblick; genossen es, zusammen zu sein, endlich, nach all diesen Jahren und all diesen Menschen und Ereignissen, die das Schicksal ihnen in den Weg gestellt hatte, um sie voneinander fern zu halten.

„Endlich sind wir zusammen – und doch ironischerweise, bist du es nun der gebunden ist – deine Hochzeit ist in wenigen Tagen. Es scheint, als ob es uns bestimmt ist, dass immer etwas zwischen uns stehen soll.“

„Und doch bin ich heute hier“, antwortete Reece. „Vielleicht sagt uns das Schicksal ja damit etwas anderes?“

Sie drückte seine Hand, und Reece erwiderte die Geste. Während sie den Blick über das Meer schweifen ließen, pochte sein Herz, und er war so verwirrt wir nie zu vor. Sollte es etwa so sein? War es ihm vorherbestimmt gewesen, Stara hier zu begegnen, nur Tage vor seiner Hochzeit, um ihm davon abzuhalten, den Fehler zu begehen, jemand anderen zu heiraten? Hat das Schicksal sich nach all den Jahren doch dazu entschlossen, sie zusammen zu bringen?

Reece konnte das Gefühl nicht loswerden, dass dem so war. Er spürte, dass das Schicksal ihn hierher zu ihr geführt hatte, um ihm vor seiner Hochzeit eine letzte Chance zu gewähren.

„Was das Schicksal vereint, kann kein Mensch trennen“, sagte Stara.

Ihre Worte drangen tief in Reeces Gedanken ein und er sah in ihre hypnotischen Augen.

„So viele Geschehnisses unseres Lebens haben versucht uns voneinander fern zu halten“, sagte Stara. „Unsere Clans. Unsere Heimat. Ein Ozean. Die Zeit selbst… Doch nichts konnte uns je wirklich trennen. So viele Jahre sind vergangen, und unsere Liebe ist so stark wie eh und je. Ist es ein Zufall, dass du genau jetzt hierhergekommen bist, so kurz vor deiner Hochzeit? Das Schicksal spricht zu uns. Es ist noch nicht zu spГ¤t.“

Reece sah sie mit klopfendem Herzen an. Sie blickte mit ihren durchdringenden Augen zurГјck. Der Himmel Гјber ihnen und der Ozean unter ihnen spiegelten sich darin, und lieГџen ihre Liebe zu ihm sichtbar werden. Er war verwirrter denn je, und konnte keinen klaren Gedanken fassen.

„Vielleicht sollte ich die Hochzeit absagen“, sagte er.

„Ich kann das nicht fГјr dich entscheiden.“, antwortete sie. „Dein Herz muss das entscheiden.“

„Jetzt, in diesem Augenblick, sagt mein Herz mir, dass du diejenige bist, die ich liebe. Ich habe dich immer geliebt.“, sagte er.

Sie blickte ihm ernst in die Augen.

„Und ich habe nie einen anderen geliebt.“

Reece konnte nicht anders. Er lehnte sich vor und seine Lippen trafen auf ihre. Die Welt um ihn herum schien zu schmelzen, er fГјhlte sich von Wogen der Liebe getragen, als sie seinen Kuss erwiderte.

Sie küssten sich, bis sie nicht mehr atmen konnten, und Reece erkannte, dass er, auch wenn alles in ihm schrie und protestierte, niemals jemand anderen als Stara heiraten könnte.



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KAPITEL VIER


Gwendolyn stand auf einer goldenen Brücke. Sie hielt sich an der Brüstung fest und als sie über den Rand blickte, sah sie einen reißenden Fluss unter sich. Die Stromschnellen brüllten wütend und das Wasser schien zu steigen, während sie zusah. Sie konnte das Stieben des Wassers sogar von hier spüren.

„Gwendolyn meine Liebe!“

Gwen drehte sich um. Auf der anderen Seite, vielleicht sechs Meter entfernt, stand lächelnd Thorgrin, der die Hand nach ihr ausstreckte.

„Komm zu mir“, bat er sie. „Гњberquere den Fluss.“

Erleichtert ihn zu sehen, begann Gwen, auf ihn zuzulaufen – bis eine andere Stimme sie innehalten ließ.

„Mutter“, hГ¶rte sie eine leise Stimme sagen.

Gwendolyn fuhr herum und sah einen Jungen auf der anderen Seite stehen, vielleicht zehn Jahre alt. Er war groß, stolz, mit breiten Schultern, einem edlen Kinn, ausgeprägtem Kiefer und glitzernden grauen Augen. Wie sein Vater. Er trug eine schöne glänzende Rüstung aus einem Material, das sie nicht kannte, und trug die Waffen eines Kriegers am Gürtel. Sie konnte seine Macht von selbst von hier spüren. Eine unaufhaltsame Macht.

„Mutter ich brauche dich“, sagte er.

Der Junge streckte seine Hand aus und Gwendolyn ging auf ihn zu.

Gwendolyn blieb stehen. Sie blickte zwischen Thor und ihrem Sohn hin und her, die beide eine Hand ausgestreckt hatten und fГјhlte sich hin und her gerissen. Sie wusste nicht, wohin sie gehen sollte.

Plötzlich gab die Brücke unter ihr nach.

Gwendolyn schrie, als sie auf die Stromschnellen zu fiel. Das eiskalte Wasser umgab sie und zog sie immer wieder nach unten.

Keuchend nach Luft kam sie an die Oberfläche und sah, wie ihr Gemahl und ihr Sohn an den gegenüberliegenden Ufern standen und beide ihre Hände nach ihr ausstreckten. Beide brauchten sie.

„Thorgrin!“, schrie sie. „Mein Sohn!“

Gwendolyn wollte beide erreichen – doch bald spürte sie, wie sie über den Rand eines Wasserfalls gespült wurde. Sie schrie.

Gwendolyn erwachte schreiend.

Mit kaltem SchweiГџ bedeckt sah sie sich verwirrt um und Гјberlegte, wo sie war.

Langsam erkannte sie, dass sie in einem Bett lag, in einer Kammer des Schlosses, die nur spärlich von ein paar Fackeln erleuchtet wurde. Sie blinzelte ein paarmal und versuchte, immer noch schwer atmend, zu verstehen, was geschehen war. Langsam erkannte sie, dass alles nur ein Traum gewesen war, ein furchtbarer Traum.

Als sich Gwendolyns Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah sie mehrere Diener, die im Raum herumstanden. Sie bemerkte, dass Illepra und Selese neben ihr standen und ihre Arme und Beine mit feuchten Tüchern abtupften. Selese wischte ihr sanft über die Stirn.

„Schhh“, beruhigte sie sie. „Es war nur ein Traum, Mylady.“

Gwendolyn spГјrte, wie sie ihre Hand drГјckte und sah sich um. Ihr Herz machte einen Sprung, als sie Thorgrin sah. Er kniete sich neben ihr Bett und hielt ihre Hand. Seine Augen strahlten vor Freude darГјber, dass sie aufgewacht war.

„Meine Liebste!“, sagte er. „Es geht dir besser!“

Gwendolyn blinzelte. Sie versuchte zu erkennen wo sie war, warum sie im Bett lag, und was all diese Menschen hier wollten. Dann plötzlich, als sie versuchte, sich zu bewegen, spürte sie einen schrecklichen Schmerz in ihrem Bauch – und erinnerte sich.

„Mein Baby!“, rief sie, plГ¶tzlich aufgeregt. „Wo ist er? Ist er am Leben?“

Verzweifelt sah Gwendolyn von einem Gesicht zum anderen. Thor drückte ihren Arm und lächelte, und sie wusste, dass alles gut war. Sie fühlte ihre ganze Existenz in diesem einen Lächeln bestätigt.

„Ja er lebt“, antwortete Thor. „Wir mГјssen Gott dafГјr danken. Und Ralibar. Ralibar hat euch beide gerade noch rechtzeitig hierher gebracht.“

„Er ist vollkommen gesund“, fГјgte Selese, ebenfalls lГ¤chelnd, hinzu.

Plötzlich zerriss ein Schrei die Stille des Raumes und Gwendolyn sah sich um. Illepra trat mit einem Bündel im Arm vor.

Gwendolyn wurde von Erleichterung überwältigt, und brach in Tränen aus. Sie begann, hysterisch zu weinen als sie ihn sah. Sie war so erleichtert, dass die Freudentränen gar nicht mehr zu fließen aufhören wollten. Ihr Baby lebte. Sie lebte. Sie hatten es geschafft. Irgendwie hatten sie den furchtbaren Alptraum überstanden.

Nie zuvor in ihrem Leben war sie dankbarer gewesen.

Illepra beugte sich Гјber sie und legte ihr das Baby in die Arme.

Gwendolyn setzte sich auf und betrachtete ihn. Sie fГјhlte sich wie neu geboren, als sie seine Haut berГјhrte, sein Gewicht in ihren Armen spГјrte, seinen Geruch wahrnahm, sein Aussehen. Sie wiegte ihn und hielt ihn fest. Gwendolyn spГјrte eine allumfassende Liebe fГјr ihn und war unglaublich dankbar. Sie konnte es kaum glauben; sie hatte ein Baby.

Sobald er in ihren Armen lag, hörte er auf zu schreien. Er wurde ruhig, wandte ihr sein winziges Gesicht zu, öffnete die Augen und sah sie direkt an.

Sie erschrak ein wenig, als sich ihre Blicke kreuzten. Das Baby hatte Thors Augen – graue, glitzernde Augen, die aus einer anderen Dimension zu kommen schienen. Es war, als würde er durch sie hindurch sehen. Während sie ihn betrachtete, hatte Gwendolyn das Gefühl, dass sie ihn aus einer anderen Zeit kannte. Aus der Ewigkeit.

In diesem Augenblick spürte Gwendolyn ein stärkeres Band zu ihm, als sie es je mit einem anderen Menschen gespürt hatte. Sie drückte ihn an sich und schwor, ihn niemals im Stich zu lassen. Sie würde für ihn durchs Feuer gehen.

„Er sieht aus wie du“, sagte Thor und lГ¤chelte, wГ¤hrend er sich zu ihr hinunterbeugte und ihn betrachtete.

Gwendolyn lächelte und Tränen liefen ihr über das Gesicht. Sie war immer noch überwältigt von ihren Gefühlen. Sie war in ihrem Leben noch nie so glücklich gewesen. Das war alles, was sie sich immer gewünscht hatte: Mit Thorgrin und ihrem Kind zusammen zu sein.

„Er hat deine Augen“, antwortete sie.

„Alles was ihm jetzt noch fehlt ist ein Name“, stellte Thor fest.

„Vielleicht sollten wir ihn nach dir benennen“, schlug Gwendolyn vor.

Thor schГјttelte entschieden den Kopf.

„Nein. Er ist dein Sohn. Er sieht aus wie du. Ein wahrer Krieger sollte den Geist seiner Mutter und die FГ¤higkeiten seines Vaters in sich tragen. Beides wird ihm gute Dienste leisten. Er wird meine FГ¤higkeiten haben, darum sollten wir ihn nach dir benennen.“

„Was schlГ¤gst du vor?“

Thor Гјberlegte.

„Sein Name sollten deinem Г¤hnlich sein. Gwendolyns Sohn sollte … Guwayne heiГџen.“

Gwen lächelte. Ihr gefiel der Klang des Namens sofort.

„Guwayne“, sagte sie. „GefГ¤llt mir.“

Sie lächelte und drückte ihr Baby an sich.

„Guwayne“, sagte sie zu ihm.

Guwayne wandte ihr sein kleines Gesicht zu und öffnete seine Augen. Und als er wieder direkt in ihr Herz blickte, hätte sie schwören können, ein Lächeln auf seinen Lippen gesehen zu haben. Sie wusste, dass er dafür zu jung war, doch sie hatte ein Flackern gesehen, und sie war sich sicher, dass ihm der Name gefiel.

Selese beugte sich über Gwen, trug eine Salbe auf ihre Lippen auf und gab ihr etwas zu trinken, ein dickflüssiges, dunkelbraunes Gebräu. Gwendolyn fühlte sich sofort gestärkt. Sie hatte das Gefühl, dass sie langsam wieder zu sich kam.

„Wie lange sind wir schon hier?“, fragte sie.

„Du hast fast zwei Tage lang geschlafen, Mylady“, sagte Illepra. „Seit der groГџen Sonnenfinsternis.“

Gwendolyn schloss ihre Augen und erinnerte sich. Mit einem Mal fiel ihr alles wieder ein. Sie erinnerte sich an die Sonnenfinsternis, den Hagel, das Erdbeben… Sie hatte noch nie zuvor so etwas erlebt.

„Unser Baby bringt bedeutende Omen mit sich“, sagte Thor. „Das gesamte KГ¶nigreich ist Zeuge der Ereignisse geworden. Man spricht Гјberall von seiner Geburt.“

Während Gwen den Jungen fest in ihren Armen hielt spürte sie, wie sich eine Wärme in ihr ausbreitete, und ahnte, dass er etwas ganz besonderes war. Ihr ganzer Körper prickelte und sie wusste, dass er kein normales Kind war. Sie fragte sich, welche Kräfte in ihm schlummern mochten.

Sie sah Thor an und Гјberlegte. War ihr Baby auch ein Druide?

„Warst du die ganze Zeit Гјber hier?“, fragte sie Thor. Sie spГјrte, dass dem so war und war ГјberwГ¤ltigt von Dankbarkeit.

„Ja. Ich bin sofort gekommen, als ich es gehГ¶rt habe. AuГџer letzter Nacht. Ich habe die Nacht am Sorgensee verbracht und fГјr deine Genesung gebetet.“

Wieder brach Gwen in Tränen aus. Sie war nie in ihrem Leben zufriedener gewesen; Ihr Kind in den Armen zu halten ließ sie sich in einer Weise vollkommen fühlen, wie sie es nie für möglich gehalten hatte. Trotz allem musste Gwendolyn an den schicksalhaften Moment im Reich der Toten denken, als sie gezwungen worden war, eine Wahl zu treffen. Sie drückte Thors Hand und hielt das Baby fest. Sie wollte beide nah bei sich haben, wollte für immer mit beiden zusammen sein.

Doch sie wusste, dass einer von ihnen sterben musste. Sie weinte.

„Was ist los, meine Liebe?“, fragte Thor schlieГџlich.

Gwendolyn schГјttelte den Kopf. Sie konnte es ihm nicht sagen.

„Mach dir keine Sorgen“, sagte er. „Deine Mutter ist noch am Leben – falls das der Grund ist, weswegen du weinst.“

Plötzlich erinnerte Gwendolyn sich.

„Sie ist sehr krank“, fГјgte Thor hinzu. „Doch es ist noch Zeit, sie zu sehen.“

Gwendolyn wusste, dass sie gehen musste.

„Ich muss sie sehen“, sagte sie. „Bring mich bitte zu ihr.“

„Bist du sicher?“, fragte Selese.

„In deinem Zustand solltest du dich nicht bewegen“, fГјgte Illepra hinzu. „Die Geburt war alles andere als normal, und du musst dich erholen. Du hast GlГјck, dass du Гјberhaupt am Leben bist!“

Gwendolyn schГјttelte entschieden den Kopf.

„Ich will meine Mutter sehen, bevor sie stirbt. Bringt mich zu ihr. Sofort.“



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KAPITEL FГњNF


Godfrey saß in der Mitte eines langen Tisches in der Trinkhalle, ein Krug Bier in jeder Hand, umgeben von einer Menge McClouds und MacGils, sang und schlug mit den anderen die Krüge auf den Tisch. Sie schunkelten, und nach jedem Satz schlugen sie ihre Krüge auf den Tisch, wobei ihnen das Bier über die Hände und auf den Tisch lief. Doch Godfrey war das egal. Er hatte schon viel zu viel getrunken, wie jede Nacht diese Woche, und er fühlte sich gut.

Ihm gegenüber saßen Akorth und Fulton, uns als er sich umsah, sah er dutzende von MacGils und McClouds vereint um einen Tisch sitzen, ehemalige Feinde, die auf seine Einladung hin zum Trinken zusammengekommen waren. Godfrey hatte einige Tage lang die Highlands durchkämmen müssen, um an diesen Punkt zu kommen. Zuerst waren die Männer skeptisch gewesen, doch als Godfrey zunächst die Bierfässer und dann die Frauen hervorgeholt hatte, kamen sie.

Es hatte mit ein paar wenigen Männern angefangen, die einander argwöhnisch beäugten und auf ihrer Seite der Bierhalle blieben.

Doch als es Godfrey gelungen war, die Halle zu füllen, begannen die Männer sich zu entspannen und miteinander zu interagieren. Es gab nichts, was Männer besser zusammenbringen konnte als der Ruf des Biers.

Was den letzten Ausschlag gegeben hatte, damit sie wie Brüder zusammen feierten, war, als Godfrey die Frauen hereingerufen hatte. Godfrey hatte seine zweifelhaften Verbindungen auf beiden Seiten der Highlands genutzt um Frauen aus Bordellen hierher zu holen, und hatte sie fürstlich entlohnt. Nun saß fast jede von ihnen auf dem Schoss eines Kriegers, und die Stimmung wurde gelöst und entspannt, seitdem sich die Männer nicht mehr auf ihre Unterschiede konzentrierten, sondern auf das gemeinsame Trinken, die Frauen und das Singen.

Zu fortgeschrittener Stunde bemerkte Godfrey, dass sich die ersten MacGils mit ein paar McClouds anfreundeten, und Pläne schmiedeten, künftig gemeinsam auf Patrouille zu gehen. Genau das war das Ziel gewesen, dass seine Schwester verfolgt hatte, als sie ihn hierher geschickt hatte, und Godfrey war mächtig stolz auf das, was er schon erreicht hatte. Er hatte natürlich auch Spaß dabei gehabt: Seine Wangen waren rot vom vielen Bier. Das Bier, das die McClouds brauten, hatte es in sich; es war stärker als das, was man auf der anderen Seite der Highlands trank und stieg einem sofort in den Kopf.

Godfrey wusste, dass es viele Wege gab, eine Armee zu stärken, Menschen zusammenzubringen, und zu regieren. Politik war der eine, Führung ein anderer und die Durchsetzung von Gesetzen ein Dritter. Doch keiner dieser Wege konnte die Herzen der Männer erreichen. Godfrey, mit all seinen Fehlern, wusste, wie man die Herzen der einfachen Männer erreicht. Er war ein einfacher Mann. Er mochte zwar von Geburt der königlichen Familie angehören, doch sein Herz hatte immer dem Volk gehört. Er hatte eine gewisse Schläue, die von den Straßen stammte, die all die Ritter in ihren glänzenden Rüstungen niemals haben würden. Sie standen darüber. Und Godfrey bewunderte sie dafür. Doch, wie Godfrey bemerkte, lag auch ein gewisser Vorteil darin, sich zu ihnen herabzulassen. Es gab ihm einen anderen Blickwinkel – und manchmal brauchte man beide Perspektiven um das Volk vollkommen verstehen zu können. Schließlich entstanden die größten Fehler der Herrscher dadurch, dass sie den Bezug zum Volk verloren hatten.

„Diese McClouds wissen, wie man trinkt!“, stellte Akorth fest.

„Sie enttГ¤uschen mich wahrlich nicht“, fГјgte Fulton hinzu.

Godfrey wurde geschubst und sah ein paar McClouds, die im Vollrausch zu sehr schunkelten und zu laut lachten während sie dir Frauen liebkosten. Godfrey hatte erkannt, dass die McClouds weitaus weniger geschliffen als die MacGils waren. Die Mac Gils waren harte Krieger, doch die McClouds hatten etwas an sich – das fast ein wenig unzivilisiert erschien. Während er den Blick über die Männer schweifen ließ, sah er, dass die McClouds ihre Frauen ein wenig zu sehr an sich drückten, ihre Krüge ein wenig zu hart auf den Tisch schlugen und recht roh miteinander umgingen. Diese Männer hatten etwas an sich, das Godfrey selbst nach all den Tagen, den er mit ihnen verbracht hatte, immer noch nervös machte. Irgendwie konnte er diesen Leuten nicht voll vertrauen. Und je mehr Zeit er mit ihnen verbrachte, desto besser konnte er verstehen, warum die Clans nur schlecht miteinander auskamen. Er fragte sich, ob sie sich jemals wirklich vereinen ließen.

Das Gelage hatte seinen Höhepunkt erreicht und noch mehr Bierkrüge wurden herumgereicht, doppelt so viele wie zuvor, und die McClouds schienen noch lange nicht mit dem Trinken fertig zu sein, so wie die Krieger der MacGils es normalerweise zu dieser Zeit waren. Stattdessen tranken sie immer mehr – viel zu viel. Godfrey machte das nervös.

„Glaubst du, dass es beim Trinken ein ‚zu vielвЂ? gibt?“, fragte Godfrey Akorth.

Akorth sah ihn verächtlich an.

„Welch eine gotteslГ¤sterliche Frage!", platzte er heraus.

„Was ist nur in dich gefahren?“, fragte Fulton.

Doch Godfrey beobachtete, wie ein McCloud, der so betrunken war, dass er kaum sehen konnte, in eine Gruppe von StammesbrГјdern taumelte und sie umriss.

Einen Moment lang hielten alle im Raum inne und sahen zu den Kriegern auf dem Boden hinГјber.

Doch sie rappelten sich wieder auf, brüllten und johlten vor Lachen und auch die anderen Männer feierten weiter, sehr zu Godfreys Erleichterung.

„WГјrdest du nicht sagen, dass sie genug hatten?“ fragte Godfrey, der sich zu fragen begann, ob das Ganze nicht eine schlechte Idee gewesen war.

Akorth sah in verständnislos an.

„Genug?“, fragte er. „Gibt es das Гјberhaupt?“

Godfrey bemerkte, dass er selbst schon lallte, und dass sein Verstand nicht mehr so scharf funktionierte, wie er es gerne gehabt hätte. Dennoch begann er zu spüren, dass die Stimmung im Raum umzuschlagen begann, als ob etwas nicht so war, wie es sein sollte. Es war alles zu viel, gerade so, als ob alle im Raum jegliche Zurückhaltung verloren hatten.

„Fass sie nicht an!“, hГ¶rte er plГ¶tzliche jemanden schreien. „Sie gehГ¶rt mir!“

Der Tonfall war dunkel, gefährlich und schnitt in einer Weise durch die Luft, die Godfrey sich umsehen ließ. Am anderen Ende der Halle stand ein MacGil Krieger und stritt mit einem McCloud, der eine Frau vom Schoss des MacGil gezogen hatte, einen Arm um ihre Taille gelegt hatte, und sie mit sich zog.

„Sie hat dir gehГ¶rt. Jetzt gehГ¶rt sie mir! Such dir eine andere!“

Der Ausdruck auf dem Gesicht des MacGil verfinsterte sich, und er zog sein Schwert. Der Klang hallte durch den Raum und zog die Aufmerksamkeit aller anderen auf sich.

„Ich sagte sie gehГ¶rt mir!“, bellte er.

Sein Gesicht war puterrot, sein Haar verschwitzt, und der ganze Raum sah zu, gebannt von seinem Worten.

Alle hielten abrupt inne und es wurde still, während beide Seiten wie angewurzelt stehenbleiben und gebannt zusahen. Der McCloud, ein großer, bulliger Mann, schnitt eine Grimasse, und warf sie grob zur Seite. Sie stolperte und fiel in die Menge.

Die Frau war dem McCloud egal; es war offensichtlich, dass er Гјber alle Massen gereizt, und auf BlutvergieГџen aus war.

Er zog sein Schwert und stellte sich dem anderen.

„Dein Leben fГјr ihres!“, sagte der McCloud.

Die Männer um sie herum machten ihnen Platz und Godfrey spürte, dass die Anspannung stieg. Er wusste, dass er einschreiten musste, bevor das hier in einen Krieg ausartete.

Godfrey sprang über den Tisch, rutschte auf dem verschütteten Bier aus, eilte ans andere Ende der Halle und stellte sich zwischen die beiden Männer und streckte seine Arme aus.

„MГ¤nner!“, rief er. Er versuchte, sich zu konzentrieren, seinen Verstand dazu zu zwingen, klar zu denken, und jetzt er bereute zutiefst, dass er zuvor so viel getrunken hatte.

„Wir sind alle MГ¤nner hier!“, schrie er. „Wir sind alle ein Volk! Eine Arme! Es gibt keinen Grund zu kГ¤mpfen! Hier gibt es mehr als genug Frauen fГјr alle! Keiner von Euch hat es so gemeint!“

Godfrey wandte sich dem MacGil zu, der mit grimmigem Blick und gezogenem Schwert zu seiner Linken stand.

„Wenn er sich entschuldigt, bin ich bereit, es zu akzeptieren.“

Der McCloud stand zunächst verwirrt da, dann wurde der Ausdruck auf seinem Gesicht plötzlich weicher und er lächelte.

„Dann entschuldige ich mich!“, rief er und streckte seine linke Hand aus.

Godfrey trat beiseite. Der MacGil sah ihn argwöhnisch an und griff nach der Hand.

Während sie die Hände schüttelten, riss der McCloud den MacGil plötzlich zu sich heran und rammte ihm sein Schwert in die Brust.

„Ich entschuldige mich“, fГјgte er hinzu, „dass ich dich nicht schon frГјher umgebracht habe! Du Dreckskerl!“

Der MacGil sackte schlaff zusammen und sein Blut ergoss sich Гјber den Boden. Er war tot.

Godfrey stand schockiert daneben. Er hatte die Szene genau beobachtet, und hatte das Gefühl, dass alles seine Schuld war. Er hatte den MacGil dazu aufgefordert, die Hand zu akzeptieren, er war derjenige gewesen, der den Waffenstillstand verhandelt hatte. Der McCloud hatte ihn vor all seinen Männern betrogen.

Godfrey konnte nicht klar denken, und angefacht durch den Alkohol, ging etwas mit ihm durch.

Mit einer schnellen Bewegung bГјckte er sich, griff das Schwert des toten MacGil und rammte es dem McCloud durchs Herz.

Godfrey blickte auf seine blutige Hand hinab und konnte nicht fassen, was er gerade getan hatte. Es war das erste Mal, dass er einen Mann in einer direkten Konfrontation getötet hatte. Er hätte nie geglaubt, dass er zu so etwas fähig war.

Godfrey hatte nicht vorgehabt, ihn zu töten, sein Verstand hatte einen Augenblick lang einfach nicht gearbeitet, und etwas aus seinem tiefsten Inneren hatte die Kontrolle übernommen, ein Teil von ihm, der Genugtuung für die Ungerechtigkeit verlangte.

In der Halle brach plötzlich Chaos aus. Überall schrien und griffen Männer einander wütend an. Schwerter wurden gezogen, und Godfrey spürte, wie Akorth ihn aus dem Weg schob, gerade rechtzeitig, bevor ein Schwert seinen Schädel spalten konnte.

Ein anderer Krieger – Godfrey konnte sich nicht erinnern wer oder warum – griff ihn und warf ihn über den bierverschmierten Tisch. Das letzte, woran Godfrey sich erinnern konnte, war, dass er den hölzernen Tisch entlangrutschte, sein Kopf gegen einen Bierkrug rammte, und er schließlich auf dem Boden landete und hart mit seinem Kopf aufschlug, wobei er sich wünschte überall zu sein, nur nicht hier.




KAPITEL SECHS


Gwendolyn saß mit Guwayne in ihren Armen in einem Rollstuhl und nahm alle ihre Kräfte zusammen, als die Diener die Tür öffneten und Thor sie in die Kammer ihrer kranken Mutter schob. Die Wachen der Königinmutter verneigten sich und traten beiseite, und Gwendolyn drückte ihr Baby fester an sich, als sie die dunkle Kammer betraten. Die Kammer war ruhig, stickig und finster. Fackeln flackerten an den Wänden. Sie konnte den Tod spüren.

Guwayne, dachte sie. Guwayne, Guwayne.

Sie sagte immer und immer wieder seinen Namen still vor sich hin, im Versuch, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, als ihre sterbende Mutter. So wie sie gehofft hatte, brachte ihr sein Name Trost und füllte sie mit Wärme. Guwayne. Das Wunderkind. Sie liebte dieses Baby mehr, als sie in Worte zu fassen vermochte.

Gwendolyn wollte, dass ihre Mutter ihn sah, bevor sie starb. Sie wollte, dass sie stolz auf sie war, wünschte sich den Segen ihrer Mutter. Sie musste es zugeben: trotz ihrer schwierigen Vergangenheit, wollte Gwendolyn Frieden mit ihrer Mutter schließen, bevor sie starb. Sie war in einem verletzlichen Zustand, und die Tatsache, dass sie ihrer Mutter in den letzten Monaten näher gekommen war, trug nur dazu bei, dass sie noch verzweifelter war.

Gwendolyn spürte, wie sich ihr Herz zusammenzog, als sich die Türen hinter ihr schlossen. Sie sah sich im Raum um und sah ein Dutzend Wachen um ihre Mutter herumstehen, Angehörige der alten Wache, die früher ihren Vater beschützt hatten. Der Raum war voller Menschen, die Totenwache hielten. Neben ihrer Mutter saß natürlich Hafold, ihre treue Dienerin bis zum Ende, die über sie wachte und niemanden an sie heranlies, so wie sie es ihr ganzes Leben lang getan hatte.

Als Thor Gwendolyn an das Bett ihrer Mutter heranschob, wollte sie aufstehen und ihre Mutter umarmen. Doch sie hatte immer noch schreckliche Schmerzen und schaffte es nicht.

Stattdessen griff sie die Hand ihrer Mutter. Sie war kalt.

Im selben Augenblick, Г¶ffnete ihre Mutter langsam die Augen. Sie sah sie Гјberrascht und erfreut an, und versuchte zu sprechen.

Sie formte Worte mit ihren Lippen, schaffte es jedoch nicht, mehr als ein Keuchen hervorzubringen. Gwendolyn konnte nicht verstehen, was sie sagen wollte.

Ihre Mutter hustete und winkte Hafold herbei.

Hafold beugte sich sofort Гјber sie und hielt ihr Ohr dicht Гјber den Mund ihrer Herrin.

„Ja, Mylady?“, fragte Hafold.

„Schick alle hinaus. Ich mГ¶chte mit meiner Tochter und Thorgrin alleine sein.“

Hafold sah die KГ¶niginmutter kurz widerwillig an, doch dann antwortete sie, „Wie Ihr wГјnscht, Mylady.“

Hafold scheuchte sofort alle anderen zur TГјr und nahm schnell wieder ihren Platz an der Seite ihrer Herrin ein.

„Alleine“, wiederholte die KГ¶nigin und nickte Hafold zu.

Hafold senkte Гјberrascht den Kopf, warf Gwendolyn einen eifersГјchtigen Blick zu, stГјrmte aus dem Raum und zog die TГјr fest hinter sich zu.

Gwendolyn saß mit Thor neben ihrer Mutter und war froh, dass sie alleine waren. Der Tod lag schwer in der Luft. Gwendolyn konnte es spüren – ihre Mutter würde nicht mehr lange bei ihr sein.

Ihre Mutter drückte Gwendolyns Hand und Gwen erwiderte die Geste. Die Königinmutter lächelte und eine Träne rollte über ihre Wange.

„Ich freue mich, dich zu sehen“, sagte sie. Ihre Worte waren kaum mehr als ein FlГјstern.

Gwendolyn kamen die Tränen, doch sie versuchte, stark zu sein und für ihre Mutter die Tränen zurückzuhalten. Doch sie schaffte es nicht, und die Tränen rollten unaufhörlich über ihre Wangen.

„Mutter“, weinte sie. „Es tut mir Leid, so schrecklich leid!“

Gwendolyn war überwältigt vom Bedauern, dass sie sich ihr ganzes Leben lang nicht näher gestanden waren. Sie hatten einander nie vollkommen verstanden. Ihre Persönlichkeiten waren immer in starkem Kontrast zueinander gestanden, sie hatten kaum jemals dieselben Ansichten vertreten. Gwendolyn tat es leid um ihre Beziehung, auch wenn sie nicht diejenige war, die sich die Schuld dafür geben musste. Rückblickend wünschte sie sich, dass sie irgendetwas hätte sagen oder tun können, um ihre Beziehung zu verbessern. Doch mit allem, was sie jeweils in ihren Leben getan hatten standen sie an unterschiedlichen Enden des Spektrums. Und es schein, als ob jegliche Anstrengung, das zu ändern, egal von welcher Seite sie kam, vergeben Liebesmüh war. Sie waren einfach zwei vollkommen verschiedene Menschen, die zufällig in dieselbe Familie hineingeboren worden waren, vom Schicksal in eine Mutter-Tochter-Beziehung geworfen. Gwendolyn war nie die Tochter gewesen, die ihre Mutter gewollt hatte, und die Königin war für Gwendolyn nie die Mutter gewesen, die sie sich gewünscht hätte. Gwendolyn fragte sich, warum das Schicksal sie zusammengebracht hatte.

Die Königinmutter nickte, und Gwen konnte sehen, dass sie sie verstanden hatte.

„Nein, mir tut es leid“, antwortete sie. „Du bist eine ganz auГџergewГ¶hnliche Tochter. Und eine auГџergewГ¶hnliche KГ¶nigin. Eine weitaus bessere KГ¶nigin als ich es je gewesen bin. Und eine weitaus bessere Herrscherin, als es dein Vater jemals war. Er wГ¤re stolz auf dich. Du hast eine bessere Mutter als mich verdient.“

Gwendolyn wischte ihre Tränen ab.

„Du warst eine gute Mutter.“

Die alte Frau schГјttelte den Kopf.

„Ich war eine gute KГ¶nigin. Und eine aufopferungsvolle Ehefrau. Doch ich war keine gute Mutter. Zumindest nicht fГјr dich. Ich denke, ich habe zu viel von mir in dir gesehen. Das hat mir Angst gemacht.“

Gwendolyn drückte ihre Hand, und während ihr wieder die Tränen über die Wangen rollten, wünschte sie sich, dass ihnen mehr Zeit bliebe und dass sie früher so miteinander gesprochen hätten. Nun, wo sie selbst Königin war, nun, wo sie beide älter waren und sie selbst ein Kind hatte, wollte Gwendolyn ihre Mutter um sich haben. Sie wünschte sich, sie um Rat fragen zu können. Doch ironischerweise wurde ihr das eine Mal in ihrem Leben, wo sie sie wirklich um sich haben wollte, dieser Wunsch nicht gewährt.

„Mutter, ich mГ¶chte, dass du mein Kind kennenlernst. Mein Sohn. Guwayne.“

Die Königinmutter riss überrascht die Augen auf, hob ihren Kopf ein wenig von den Kissen und sah zum ersten Mal, dass Gwendolyn Guwayne in ihren Armen hielt.

Die Königin keuchte, setzte sich weiter auf und begann zu schluchzen.

„Oh Gwendolyn“, sagte sie. „Er ist das hГјbscheste Baby, das ich je gesehen habe.“

Sanft strich sie Guwayne Гјber den Kopf, legte ihre Fingerspitzen auf seine Stirn und schluchzte noch mehr.

Langsam wandte sie sich Thor zu.

„Du wirst ein guter Vater sein“, sagte sie. „Mein Gemahl hat dich geliebt. Ich habe zwischenzeitlich auch verstanden, warum. Ich habe mich in dir getГ¤uscht. Vergib mir. Ich bin froh, dass Gwendolyn dich hat.“

Thor nickte ernst und drückte die Hand der Königinmutter die sie ihm entgegenstreckte.

Es gibt nicht zu vergeben“, sagte er.

Die Königinmutter wandte sich wieder Gwendolyn zu und ihre Augen wurden hart; es war, als ob sich plötzlich etwas in ihr verändert hatte und die alte Königin wieder zum Leben erwacht war.

„Du wirst dich von nun an vielen PrГјfungen stellen mГјssen“, sagte ihre Mutter. „Ich weiГџ alles, was im KГ¶nigreich vor sich geht, ich habe immer noch treue Gefolgsleute, die mich auf dem Laufenden halten. Ich mache mir Sorgen um dich.“

Gwendolyn tätschelte ihre Hand.

„Mutter bitte sorg dich jetzt nicht um mich. Das ist nicht die Zeit fГјr Staatsangelegenheiten.“

Doch sie schГјttelte den Kopf.

„Es ist immer Zeit fГјr Staatsangelegenheiten. Und ganz besonders jetzt. Bestattungen sind Staatsangelegenheiten, das darfst du nicht bergessen. Es sind keine Familienangelegenheiten, sie sind hoch politisch.“

Ihre Mutter hustete und keuchte, dann holte sie tief Luft.

„Mir bleibt nicht viel Zeit, darum hГ¶r mir gut zu“, sagte sie, und ihre Stimme klang schwГ¤cher. „Nimm dir meine Worte zu Herzen. Selbst wenn du sie nicht hГ¶ren willst.“

Gwendolyn nickte ernst.

„Was immer du sagst, Mutter.“

„Du darfst Tirus nicht vertrauen. Er wird dich betrГјgen. Vertraue seinen Leuten nicht. Diese MacGils sind nicht wie wir. Alles, was wir gemeinsam haben, ist der Name. Vergiss das niemals.“ Sie rГ¶chelte, und Gwendolyn versuchte die Bedeutung ihrer Worte zu verstehen.

„Sorge dafГјr, dass deine Armee stark ist und deine Verteidigungsanlagen noch stГ¤rker. Je eher du verstehst, dass Frieden nur eine Illusion ist, desto besser wirst du den Frieden sichern.“

Einerseits dachte Gwen, dass das vielleicht nur die Worte einer sterbenden Königin waren, die abgestumpft war; doch andererseits erkannte sie, dass eine gewisse Weisheit in ihnen lag, auch wenn sie es nicht gerne zugab.

Ihre Mutter Г¶ffnete wieder die Augen.

„Deine Schwester, Luanda“, flГјsterte sie. „Ich mГ¶chte, dass sie zu meiner Bestattung kommt. Sie ist meine Tochter. Meine Erstgeborene.“

Gwendolyn holte Гјberrascht Luft.

„Sie hat schlimme Dinge getan, fГјr die sie das Exil verdient. Doch erlaube ihr dieses eine Mal, zurГјckzukehren. Ich mГ¶chte, dass sie dabei ist. Bitte lehne die Bitte deiner sterbenden Mutter nicht ab.“

Gwendolyn seufzte. Sie war hin und her gerissen. Sie wollte ihrer Mutter eine Freude bereiten, doch sie wollte nicht, dass Luanda zurГјckkam. Nicht nach allem, was sie getan hatte.

„Versprich es mir“, sagte ihre Mutter und drГјckte fest Gwendolyns Hand. „Versprich es mir.“

SchlieГџlich nickte Gwendolyn, als sie erkannte, dass sie ihr diese Bitte nicht abschlagen konnte.

„Ich verspreche es dir Mutter.“

Ihre Mutter seufzte und nickte zufrieden. Dann lehnte sie sich zurГјck.

„Mutter“, sagte Gwendolyn und rГ¤usperte sich. „Ich wГјnsche mir, dass du mein Kind segnest.“

Ihre Mutter Г¶ffnete schwach die Augen und sah sie an. Dann schloss sie sie wieder und schГјttelte langsam den Kopf.

„Dieses Baby hat bereits jeden Segen, den sich ein Kind wГјnschen kann. Er hat meinen Segen – doch er braucht ihn nicht. Du wirst sehen, meine Tochter, dass dein Kind weitaus mГ¤chtiger ist als du oder Thorgrin, oder irgendjemand anderer vor ihm oder nach ihm. Das ist schon vor Jahren prophezeit worden.“

Ihre Mutter röchelte, und gerade als Gwendolyn dachte, dass sie nichts mehr zu sagen hatte und gehen wollte, schlug ihre Mutter ein letztes Mal die Augen auf.

„Vergiss nicht, was dein Vater dir beigebracht hat, sagte sie mit einer Stimme, die so schwach war, dass Gwendolyn sie kaum hГ¶ren konnte. „Manchmal herrscht der größte Frieden in einem KГ¶nigreich, das sich im Krieg befindet.“




KAPITEL SIEBEN


Steffen war schon seit Tagen auf der staubigen Straße gen Osten unterwegs, gefolgt von einem Dutzend Angehörigen der königlichen Wache. Er hatte sich geehrt gefühlt, dass sie Königin ihn mit dieser Mission betraut hat, und war entschlossen, sie zu erfüllen. Steffen war seitdem von Ort zu Ort geritten, begleitet von einer Karawane von Kutschen – jede einzelne von ihnen voll beladen mit Gold und Silber, königlichen Münzen, Mais, Getreide, Weizen und Baumaterialien aller Art. Die Königin war entschlossen, allen kleinen Ortschaften im Ring Hilfe zukommen zu lassen, ihnen beim Wiederaufbau zu helfen, und in Steffen hatte sie jemanden gefunden, der ihren Wunsch mit derselben Entschlossenheit umsetzte.

Steffen hatte schon viele Orte besucht, hatte im Namen der Königin eine Menge Rohstoffe verteilt, und sie sorgfältig all jenen Orten und Familien zukommen lassen, die sie am meisten brauchten. Er war stolz, die Freude in ihren Gesichtern zu sehen, wenn er die Rohstoffe verteilte und ihnen Arbeitskräfte zuteilte, die ihnen beim Aufbau helfen sollten. In einem Dorf nach dem anderen gelang es ihm, das Vertrauen in die Königin zu stärken und dabei zu helfen, den Ring wieder aufzubauen. Zum ersten Mal in seinem Leben sahen die Menschen über seine Erscheinung hinweg, und behandelten ihn mit demselben Respekt wie jeden anderen auch. Er liebte dieses Gefühl. Die Menschen erkannten, dass sie unter der neuen Königin nicht in Vergessenheit geraten waren, und Steffen war glücklich, dazu beitragen zu dürfen, dass sie sie liebten. Er konnte sich nichts vorstellen, was er lieber wollte.

Wie das Schicksal es wollte, führte der Weg ihn nach vielen anderen Orten auch in sein Dorf, dem Ort, an dem er aufgewachsen war. Steffen spürte eine gewisse Furcht, als er bemerkte, dass das nächste Dorf seine alte Heimat war. Nur zu gerne hätte er einen anderen Weg eingeschlagen, doch er wusste, dass das nicht möglich war. Er hatte Gwendolyn geschworen, seine Aufgabe zu erfüllen und er konnte sie nicht enttäuschen, selbst wenn es bedeutete, dass er an den Ort zurückkehren sollte, der bis heute Gegenstand seiner Alpträume war.

So viele Menschen, die schon hier gelebt hatten, als er hier aufgewachsen war, mussten noch hier sein – jene Menschen, die großen Gefallen daran gefunden hatten, ihn zu quälen, und ihn wegen seiner Missbildung aufgezogen hatten. Jene Menschen, die ihm immer wieder eingeredet hatten, dass er sich für seine Erscheinung schämen musste. Als er das Dorf damals verlassen hatte, hatte er geschworen, nie wieder zurückzukehren, und nie wieder ein Wort mit seiner Familie zu sprechen. Doch nun brachte ihn ironischerweise seine Mission hierher, und verlangte von ihm, dass er ihnen im Namen der Königin Rohstoffe zuteilte. Das Schicksal konnte grausam sein.

Als sie auf einen Hügel kamen, sah Steffen zum ersten Mal sein Dorf. Sein Magen krampfte sich zusammen. Einzig und allein der Anblick ließ ihn sich klein und unbedeutend fühlen. Er konnte spüren, wie er sich in sich zurückzog. Er hatte sie so gut gefühlt, besser als je zuvor in seinem Leben, besonders mit seinem neuen Amt, seiner Entourage und der Tatsache, dass er nur der Königin selbst Rechenschaft schuldig war. Doch jetzt, wo er dieses Ort sah, stürzten alle Erinnerungen wieder auf ihn ein, die Furch davor, wie die Menschen ihn wahrnahmen, ein Gefühl, das er immer gehasst hatte.

Er fragte sich, ob diese Menschen immer noch dort waren. Waren sie noch immer so grausam wie früher? Ob sie wohl stolz wären, wenn sie sahen, was er erreicht hatte? Er war einer der höchsten Ratgeber der Königin, ein Mitglied des inneren Königlichen Rats. Sie würden sprachlos sein, wenn sie hörten, was der kleine, bucklige Junge erreicht hatte. Sie würden endlich zugeben müssen, dass sie sich in ihm getäuscht hatten. Dass er doch nicht wertlos war.

Steffen hoffte, dass es so sein wГјrde. Vielleicht wГјrde seine Familie ihn endlich bewundern, und er wГјrde eine gewisse Genugtuung erleben.

Steffen und seine königliche Karawane kamen zu den Toren des kleinen Ortes, und Steffen ließ sie anhalten.

Er drehte sich um und sah seine Männer an, ein Dutzend Männer der Königlichen Wache, die auf seinen Befehl warteten.

„Wartet hier vor den Toren auf mich“, rief er. „Ich mГ¶chte nicht, dass meine Leute euch schon sehen. Ich mГ¶chte ihnen zuerst alleine begegnen.“

„Jawohl, Sire“, antworteten sie.

Steffen sprang von seinem Pferd. Er wollte sein Dorf zu Fuß betreten. Vor allem jedoch wollte er nicht, dass seine Familie sein Pferd mit den königlichen Insignien oder seine Entourage sah. Er wollte sehen, wie sie auf ihn reagieren würden, so wie er war, ohne seinen Rang zu kennen. Er nahm sogar seine königlichen Abzeichen auf seinen neuen Kleidern ab und ließ sie in seiner Satteltasche.

Steffen ging durch das Tor in die kleine, hässliche Ortschaft, an die er sich nur zu gut erinnerte. Es stank nach wilden Hunden, die Hühner rannten frei in den Straßen umher, gejagt von alten Frauen und kleinen Kindern. Er ging an den Häusern vorbei. Wenige waren aus Stein gebaut, die meisten aus Lehm und Stroh. Die Straßen waren in schlechtem Zustand, mit Schlaglöchern und voller Tierkot.

Nichts hatte sich geändert. Selbst nach all diesen Jahren schien alles unverändert zu sein.

SchlieГџlich erreichte Steffen das Ende der StraГџe und bog nach links ab. Sein Magen zog sich zusammen, als er das Haus seines Vaters sah. Es sah aus wie eh und je, ein kleines Holzhaus, mit steilem Dach und einer krummen EingangstГјr. Selbst der Stall im Garten, in dem Steffen hatte schlafen mГјssen stand noch. Der Anblick machte ihn wГјtend. Er wollte ihn am liebsten abreiГџen.

Steffen ging zur TГјr, die offen stand und sah hinein.

Es nahm ihm den Atem, als er seine ganze Familie sah: Sein Vater und seine Mutter, all seine Schwestern und BrГјder. Alle zusammengepfercht in dem engen Haus, wie es schon immer gewesen war. Sie saГџen um einen Tisch herum und lachten. Sie hatten nie mit Steffen gelacht, sondern immer nur Гјber ihn.

Sie sahen natürlich älter aus, doch sonst waren sie unverändert. Er sah sie an und fragte sich: Stammte er wirklich aus dieser Familie?

Steffens Mutter war die erste, die ihn sah. Sie drehte sich um und keuchte bei seinem Anblick. Ihr Teller zerschellte klirrend auf dem Boden.

Als nächster wandte sich ihm sein Vater zu, dann alle anderen, geschockt, ihn zu sehen. Sie sahen nicht erfreut aus, gerade so, als ob ein unerwünschter Gast zu Besuch gekommen wäre.

„Soso“, sagte sein Vater langsam mit bГ¶sem Blick und kam um den Tisch herum auf ihn zu, wobei er mit bedrohlicher Geste seine Finger an seinem Taschentuch abwischte. „Bist du also doch zurГјckgekommen.“

Steffen erinnerte sich daran, dass sein Vater immer wieder einen Knoten in dieses Taschentuch geknГјpft, es nass gemacht, und ihn damit geschlagen hatte.

„Was ist los?“, fГјgte sein Vater mit einem finsteren Grinsen hinzu. „Hast es in der groГџen Stadt wohl doch zu nichts gebracht?“

„Er hat sich eingebildet, dass er zu gut fГјr uns war. Und jetzt kommt er wie ein Hund zurГјck nach Hause gekrochen!“, rief einer seiner BrГјder.

„Wie ein Hund!“, echote einer seiner Schwestern.

Steffen kochte innerlich. Er atmete tief durch und zwang sich, seine Zunge im Zaum zu halten und sich nicht auf ihr Niveau herabzulassen. Diese Leute waren Dörfler und voller Vorurteile; das war das Ergebnis eines Lebens eingesperrt in der Enge dieses kleinen Ortes. Er jedoch hatte die Welt gesehen, und hatte gelernt, anders zu denken.

Seine Geschwister – in der Tat jeder im Raum – lachte ihn aus.

Die einzige die nicht lachte, sondern ihn mit groГџen Augen ansah, war seine Mutter. Er fragte sich, ob sie vielleicht die einzige war, die ein wenig Verstand hatte. Er fragte sich, ob sie sich vielleicht freute, ihn zu sehen.

Doch sie schГјttelte nur langsam den Kopf.

„Oh Steffen“, sagte sie. „Du hГ¤ttest nicht hierher zurГјckkommen sollen. Du gehГ¶rst nicht zu dieser Familie.“

Ihre Worte, so ruhig und ohne Häme ausgesprochen, taten Steffen am meisten weh.

„Er hat nie dazugehГ¶rt. Er ist ein Tier. Was willst du hier, Junge? Almosen?“

Steffen antwortete nicht. Er besaГџ nicht die Gabe geschliffener Worte, schlauer, schlagfertiger Antworten, und schon gar nicht in einer Situation wie dieser. Er war so durcheinander, dass er kaum einen Satz bilden konnte. Es gab so vieles, was er ihnen sagen wollte, doch ihm fehlten die Worte.

Stattdessen stand er kochend vor Wut vor ihnen und schwieg.

„Hat die Katze etwa deine Zunge gefressen?“, hГ¶hnte sein Vater. „Dann verschwinde, du verschwendest meine Zeit. Das ist unser groГџer Tag und wir lassen ihn uns von dir nicht ruinieren.“

Sein Vater schob Steffen zur Seite, eilte an ihm vorbei nach draußen und sah sich um. Die ganze Familie wartete, bis der Vater enttäuscht grunzend zurückkam.

„Sind sie schon da?“, fragte die Mutter hoffnungsvoll.

Er schГјttelte den Kopf.

„Keine Ahnung wo sie bleiben“, sagte der Vater.

Dann wandte er sich Steffen zu und wurde rot vor Wut.

„Verschwinde endlich“, bellte er ihn an. „Wir warten auf einen wichtigen Mann, und du versperrst den Weg. Du willst wohl unsere groГџe Chance kaputtmachen, so wie du immer alles kaputt gemacht hast, nicht wahr? Was bildest du dir ein, in einem Moment wie diesem hier aufzutauchen? Der Gesandte der KГ¶nigin kann jeden Augenblick hier eintreffen, um hier im Dorf Essen und VorrГ¤te zu verteilen. Das ist der Moment, in dem wir alles MГ¶gliche von ihm erbitten kГ¶nnen. Und schau dich nur an“, zischte sein Vater, „stehst herum und blockierst die TГјr. Ein Blick auf dich und er wird unser Haus ignorieren. Er wird denken, dass wir ein Haus voller Abartiger sind!“

Seine Brüder und Schwestern brachen in Gelächter aus.

„Ein Haus voller Abartiger!“, echote einer.

Steffen starrte seinen Vater an, der böse auf ihn herabblickte, und wurde selbst rot.

Steffen, immer noch nicht in der Lage zu antworten, drehte sich langsam um, schГјttelte den Kopf und verlieГџ das Haus.

Er lief hinaus auf die Straße und gab seinen Männern ein Zeichen.

Plötzlich erschienen dutzende von glänzenden königlichen Pferdekutschen im Ort.

„Sie kommen!“ schrie Steffens Vater.

Steffens ganze Familie rannte aus dem Haus an Steffen vorbei und gafften die Kutschen und die Königlichen Wachen an.

Die Wachen sahen Steffen an.

„Mylord“, sagte einer von ihnen. „Sollen wir hier etwas verteilen, oder weiterziehen?“

Steffen hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sah seine Familie an.

Bei den Worten der Wache drehten sie sich sprachlos um und starrten Steffen an. Sie blickten zwischen der Wache und Steffen hin und her, vollkommen sprachlos, als ob sie nicht verstehen konnten, was sie sahen.

Steffen ging langsam auf sein Pferd zu, schwang sich in den mit Gold und Silber beschlagenen Sattel und blickte auf seine Familie hinab.

„Mylord?“ echote sein Vater. „Soll das ein Witz sein? Du? Der kГ¶nigliche Gesandte?“

Steffen saß lediglich da und schüttelte den Kopf während er auf seinen Vater hinabblickte.

„So ist es Vater“, sagte er. „Ich bin der kГ¶nigliche Gesandte.“

„Das kann nicht sein!“, entgegnete dieser. „Das kann nicht sein. Wie sollte ein Tier wie du von der KГ¶nigin zu so etwas ausgewГ¤hlt werden?“

Plötzlich stiegen zwei Männer der Königlichen Wache von ihren Pferden ab und eilten auf den Vater zu. Sie drängten ihn zurück an die Wand des Hauses und drückten die Spitzen ihrer Schwerter fest genug an seinen Hals, dass er entsetzt die Augen aufriss.

„Einen Gesandten der KГ¶nigin zu beleidigen ist eine Beleidigung fГјr die KГ¶nigin selbst“, knurrte einer der MГ¤nner Steffens Vater an.

Sein Vater schluckte schwer. Er hatte Angst.

„Mylord. Sollen wir diesen Mann einsperren lassen?“ fragte die andere Wache Steffen.

Steffen betrachtete seine Familie, sah den Schreck in ihren Gesichtern und Гјberlegte.

„Steffen!“, seine Mutter kam nach vorn gestГјrmt, klammerte sich an seine Beine und bettelte: „Bitte! Lass deinen Vater nicht einsperren! Und bitte, gib uns VorrГ¤te! Wir brauchen sie dringend.“

„Das bist du uns schuldig!“, blaffte sein Vater. „Nach allem was ich dir dein Leben lang gegeben habe, bist du es uns schuldig!“

„Bitte!“, bettelte seine Mutter. „Wir hatten keine Ahnung. Wir wussten nicht, was aus dir geworden ist! Bitte tu deinem Vater nichts an!“

Sie fiel auf die Knie und begann zu weinen.

Steffen schГјttelte lediglich den Kopf Гјber diese lГјgenden, hinterlistigen Menschen. Menschen, die sein ganzes Leben lang immer nur grausam zu ihm waren. Nun, da sie erkannt hatten, dass etwas aus ihm geworden war, wollten sie etwas von ihm.

Steffen entschied, dass sie nicht einmal eine Antwort verdient hatten.

Er hatte noch etwas anderes erkannt: Sein ganzes Leben lang hatte er seine Familie in den Himmel gehoben. Gerade so, als ob sie die großartigen, beliebten und erfolgreichen wären, der er geworden war. Doch nun erkannte er, dass genau das Gegenteil der Fall war. Alles, was er von ihnen gehalten hatte, war eine einzige Illusion gewesen. Das hier waren erbärmliche Gestalten. Trotz seiner Missbildung stand er weit über ihnen. Zum ersten Mal in seinem Leben erkannte er das.

Er blickte zu seinem Vater hinab, der immer noch von den beiden Wachen bedroht wurde, und tief im Inneren wГјnschte er sich, ihm denselben Schmerz zuzufГјgen, den er ihm so lange zugefГјgt hatte. Doch sein Verstand erkannte noch etwas: Sie verdienten nicht einmal seine Rache. Sie mГјssten ihm etwas bedeuten, um sie zu verdienen. Und fГјr ihn existierten sie nicht mehr.

Er wandte sich seinen Männern zu.

„Ich denke, dass dieser Ort ganz gut ohne unsere Hilfe zurechtkommt.“

Er gab seinem Pferd die Sporen und ritt in einer dichten Staubwolke aus dem Dorf ohne sich auch nur einmal umzusehen. Er schwor sich, nie wieder hierher zurГјckzukehren.



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KAPITEL ACHT


Die Wachen warfen die alten Eichenholztüren auf um Reece Zuflucht vor dem ekelhaften Wetter in Srogs warmem und trockenem Kastell zu gewähren. Er war nass bis auf die Haut vom peitschenden Wind und Regen der Oberen Inseln, und war froh, als die Türen direkt hinter ihm wieder zugeschlagen wurden. Er trocknete sich das Gesicht und die Haare ab und als er aufblickte kam Srog schon auf ihn zugeeilt um ihn zu begrüßen.

Reece umarmte ihn herzlich. Er hatte Srog immer gern gemocht, diesen großen Krieger und Anführer, der seine Männer in Silesia so gut geführt hatte, der seinem Vater gegenüber immer loyal gewesen war, und für seine Schwester fast sein Leben gegeben hätte. Srog mit seinem Stoppelbart, seinen breiten Schultern und dem warmherzigen Lächeln zu sehen, weckte in Reece Erinnerungen an seinen Vater, an die alte Garde.

Srog klopfte Reece auf die Schulter.

“Du siehst deinem Vater auch immer ähnlicher!”, sagte er.

„Ich hoffe, das ist gut.“

„Und ob“, antwortete Srog. „Es gab keinen besseren Mann als deinen Vater. Ich wГ¤re fГјr ihn durchs Feuer gegangen.“

Srog führte Reece durch den Flur und seine Männer folgten ihm in respektvollem Abstand.

„Herzlich willkommen an diesem elenden Ort!“, sagte Srog. „Ich bin dankbar, dass deine Schwester dich geschickt hat.“

„Ich habe scheinbar keinen guten Tag fГјr meinen Besuch gewГ¤hlt“, sagte Reece, als sie ein offenes Fenster passierten vor dem der Regen peitschte.

Srog lächelte zerknirscht.

„Hier ist jeder Tag ein schlechter Tag“, antwortete er. „Das Wetter kann hier ganz schnell umschlagen. Man sagt, dass man hier auf den Oberen Inseln alle vier Jahreszeiten an einem einzigen Tag erleben kann – und ich kann nur bestГ¤tigen, dass das stimmt.“ Reece blickte nach drauГџen Гјber den kleinen, leeren Innenhof, umgeben von ein paar uralten, grauen Steinbauten, die im Grau des Regens fast verschwanden. Es waren nur wenige Leute drauГџen, und die die es waren, huschten mit eingezogenen KГ¶pfen von einem GebГ¤ude zum nГ¤chsten. Diese Insel schien ein einsamer und Г¶der Ort zu sein.

„Wo sind all die Menschen?“, fragte Reece.

Srog seufzte.

„Die Menschen hier bleiben drinnen. Sie sind EigenbrГ¶tler. Dieser Ort hier ist nicht wie Silesia oder King’s Court wo die Menschen gerne dicht beieinander leben. Hier leben sie Гјber die ganze Insel verteilt. Eine größere Stadt gibt es hier nicht. Sie sind ein seltsames Volk, sehr zurГјckgezogen, stur und abgehГ¤rtet – wie das Wetter.“

Srog fГјhrte Reece Гјber einen Flur und nach einer letzten Ecke betraten sie den groГџen Saal.

Etwa ein Dutzend von Srogs Männern saßen dort mit verdrießlicher Miene in voller Rüstung an einem Tisch vor dem Kamin. Die Hunde kauerten dicht vor dem Feuer, und warteten darauf, dass vom Fleisch, das die Männer aßen, etwas für sie abfiel. Sie sahen Reece an und knurrten.

Srog führte Reece zum Feuer. Er rieb seine Hände über den Flammen, dankbar für die Wärme.

„Ich weiГџ, dass du nicht viel Zeit hast, bevor dein Schiff wieder ablegt“, sagte Srog. Doch ich wollte dich nicht gehen lassen, ohne dir eine Gelegenheit zu geben dich aufzuwГ¤rmen und trockene Kleider anzuziehen.“

Ein Diener kam und brachte Reece trockene Kleider und ein Kettenhemd genau in seiner Größe. Reece blickte Srog überrascht und dankbar an während er seine nassen Kleider auszog und gegen die neuen tauschte.

Srog lГ¤chelte. „Wir behandeln unseresgleichen gut hier“, sagte er. „Ich dachte mir, dass du sie gut brauchen kГ¶nntest.“

„Danke!“, sagte Reece und fГјhlte sich schon deutlich wГ¤rmer. „Genau, was ich gebraucht habe.“ Er hatte sich tatsГ¤chlich nicht sonderlich darauf gefreut in nassen Kleidern zurГјck zu segeln.

Srog begann einen langen Monolog über Politik und Reece nickte höflich. Doch tief im Inneren war er viel zu abgelenkt, um ihm zuzuhören. Er war immer noch überwältigt von den Gedanken an Stara, die er nicht abschütteln konnte. Er konnte nicht aufhören, an ihre Begegnung zu denken, und jedes Mal, wenn er an sie dachte, machte sein Herz einen Sprung.

Es graute ihm bei dem Gedanken an die Aufgabe, die auf dem Festland vor ihm lag – nämlich Selese und allen anderen zu sagen, dass die Hochzeit nicht stattfinden würde. Er wollte sie nicht verletzten, doch er hatte keine andere Wahl.

„Reece?“, wiederholte Srog.

Reece blinzelte und sah ihn an.

„Hast du mich gehГ¶rt?“, fragte er.

„Entschuldigung“, sagte Reece. „Was hast du gesagt?“

„Ich fragte, ob deine Schwester meine Nachrichten erhalten hat?“, wiederholte er geduldig.

Reece nickte und versuchte sich zu konzentrieren.

„Das hat sie“, antwortete er. „Das war der Grund weshalb sie mich hierher geschickt hat. Sie hat mich gebeten, mich mit dir zu treffen, um aus erster Hand zu erfahren, was hier vor sich geht.“

Srog seufzte und starrte ins Feuer.

„Ich bin nun seit sechs Monden hier“, sagte er. „Und ich kann dir sagen, dieses Inselvolk ist nicht wie wir. Sie sind nur dem Namen nach MacGils. Ihnen fehlen all die QualitГ¤ten deines Vaters. Sie sind nicht nur stur – man kann ihnen auch nicht vertrauen. Fast tГ¤glich sabotieren sie die Schiffe der KГ¶nigin; und wenn man es genau nimmt, sabotieren sie alles was wir tun. Sie wollen uns nicht hier haben. Sie wollen nichts mit dem Festland zu tun haben – auГџer natГјrlich, wenn sie es Гјberfallen. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ein harmonisches Zusammenleben einfach nicht ihrer Natur entspricht.“

Srog seufzte.

„Wir verschwenden unsere Zeit hier. Deine Schwester sollte sich von hier zurГјckziehen und sie ihrem Schicksal Гјberlassen.“

Reece nickte. Er rieb seine Hände über dem Feuer, als plötzlich die Sonne durch die Wolken brach und das finstere, regnerische Wetter einem strahlenden Sommertag Platz machte. In der Ferne ertönte ein Horn.

„Dein Schiff!“, rief Srog. „Wir mГјssen gehen. Ihr mГјsst Segel setzen, bevor das schlechte Wetter zurГјckkehrt. Ich bringe dich zum Hafen.“

Srog fГјhrte Reece durch ein Nebentor aus dem Kastell heraus, und erstaunt blinzelte er ins gleiГџende Sonnenlicht. Ein perfekter Sommertag.

Reece und Srog gingen schnell nebeneinander her, dicht gefolgt von mehreren von Srogs Männern. Kieselsteine knirschten unter ihren Stiefeln als sie durch die Hügel zum Hafen gingen. Sie kamen an grauen Felsblöcken vorbei und Hügeln auf denen Ziegen grasten. Als sie sich der Küste näherten, hallten Glocken über die Bucht – eine Warnung für die Schiffe vor dem aufziehenden Nebel.

„Die Lebensbedingungen hier sind wirklich nicht angenehm“, sagte Reece schlieГџlich.

„Du hast es nicht leicht hier. Du hast die Dinge hier viel LГ¤nger im Zaum gehalten, als das anderen gelungen wГ¤re, dessen bin ich mir sicher. Du hast gute Arbeit geleistet; das werde ich der KГ¶nigin berichten“

Srog nickte dankend.

„Ich weiГџ zu schГ¤tzen, dass du das sagst“

„Was ist die Quelle der Unzufriedenheit dieser Leute?“, fragte Reece. „Sie sind schlieГџlich frei. Wir wollen ihnen nichts BГ¶ses – im Gegenteil: Wir bringen VorrГ¤te und bieten ihnen Schutz.“

Srog schГјttelte den Kopf.

„Sie werden keine Ruhe geben, bis Tirus frei ist. Sie betrachten es als persГ¶nliche Beleidigung, dass ihr AnfГјhrer im Kerker sitzt.“

„Sie sollten sich glГјcklich schГ¤tzen, dass er nur im Kerker sitzt, und nicht fГјr seinen Verrat hingerichtet worden ist.“

Srog nickte.

„Damit hast du vollkommen Recht. Doch diese Leute verstehen das nicht.“

„Und wenn wir ihn freilassen?“, fragte Reece. „WГјrden sie dann Ruhe geben?“

Srog schГјttelte den Kopf.

„Ich bezweifle das. Ich glaube es wГјrde sie nur ermutigen.“

„Was kГ¶nnen wir dann tun?“, fragte Reece.

Srog seufzte.

„Diesen Ort aufgeben“, sagte er. „Und das, so schnell wie mГ¶glich. Mir gefГ¤llt nicht, was ich hier sehe. Ich spГјre, dass sich ein Aufstand zusammenbraut.“

„Dabei sind sie uns doch zahlenmäßig, was MГ¤nner und Schiffe angeht weit unterlegen.“

Srog schГјttelte den Kopf.

„Das ist eine Illusion.“, sagte er. „Sie sind gut organisiert. Wir sind auf ihrem Feld. Sie haben unzГ¤hlige MГ¶glichkeiten uns zu sabotieren, die wir nicht einmal erahnen kГ¶nnen. Wir sitzen hier in einer Schlangengrube.“

„Doch Matus ist nicht wie sie“, sagte Reece.

„Das stimmt“, antwortete Srog. „Aber er ist der einzige.“

Es gibt noch jemanden, dachte Reece: Stara. Doch er behielt diesen Gedanken für sich. All das zu hören, weckte in ihm den Drang, Stara zu retten, sie so schnell wie möglich von hier fort zu bringen. Er schwor, dass er genau das tun würde. Doch zuerst musste er zurück segeln und seine Angelegenheiten klären. Dann konnte er zurückkehren um sie zu holen.

Als sie zum Stand kamen, blickte Reece auf und fand sein Schiff bereit zum Ablegen. All seine Männer waren bereits an Bord und warteten auf ihn.

Er blieb vor dem Schiff stehen und Srog legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Ich werde Gwendolyn alles erzГ¤hlen“, sagte Reece. „Ich werde sie wissen lassen, dass du Bedenken hast. Doch ich weiГџ, dass sie fest entschlossen ist, die Inseln zu halten. Sie sieht sie als einen Teil einer größeren Strategie fГјr den Ring. FГјr den Augenblick zumindest musst du versuchen, hier fГјr Ruhe und Harmonie zu sorgen. Was immer auch dazu nГ¶tig ist. Was brauchst du? Mehr Schiffe? Mehr MГ¤nner?“

Srog schГјttelte den Kopf.

„Alle MГ¤nner und Schiffe dieser Welt werden dieses Inselvolk nicht Г¤ndern. Nur die Klinge eines Schwertes vermag das.“

Reece sah ihn entsetzt an.

„Gwendolyn wГјrde niemals den Mord an unschuldigen gut heiГџen“, sagte Reece.

„Ich weiГџ das“, antwortete Srog. „Und genau das ist der Grund aus dem viele unserer MГ¤nner sterben werden.“




KAPITEL NEUN


Stara stand auf den Zinnen des Kastells ihrer Mutter, einer aus Stein gebauten, quadratischen Festungsanlage die so alt war wie die Insel selbst, dem Ort, an dem Stara lebte, seit ihre Mutter, gestorben war. Sie ging bis zum Rand, dankbar, dass die Sonne endlich hervorgekommen war, und blickte zum Horizont, wo sie Reeces Schiff in der Ferne sehen konnte. Sie sah zu, wie sich sein Schiff vom Rest der Flotte trennte und sah dem Schiff so lange sie konnte nach, das mit jeder Welle Reece weiter von ihr fort trug.

Sie konnte Reeces Schiff noch den ganzen Tag lang sehen. Sie konnte es nicht ertragen, ihn gehen zu sehen. Sie fГјhlte sich, als ob mit ihr ein Teil ihres Herzens, ein Teil von ihr selbst, die Insel verlassen hatte.

Endlich, nach all diesen Jahren auf diesem furchtbaren, einsamen und kargen Eiland, fühlte sich Stara von Freue überwältigt. Reece wiederzusehen hatte ihr neues Leben eingehaucht. Es hatte eine Leere in ihr ausgefüllt, von der sie nicht einmal gewusst hatte, dass sie all die Jahre an ihr genagt hatte. Nun, da sie wusste, dass Reece die Hochzeit absagen würde, dass er zu ihr zurückkehren würde, dass er sie, Stara, heiraten würde, hatte sie das Gefühl, dass alles gut werden würde. All der Kummer, den sie in ihrem Leben ertragen hatte, würde endlich verschwinden.

Sie musste natürlich zugeben, dass ihr Selese Leid tat. Stara hatte niemals jemanden verletzen wollen. Doch es ging um ihre Zukunft, ihren Gemahl – und sie hatte das Gefühl, dass es nur fair war. Immerhin hatte sie, Stara, Reece ihr ganzes Leben lang gekannt, seit sie kleine Kinder waren. Sie war Reeces erste und einzige Liebe. Dieses neue Mädchen, Selese, kannte Reece kaum, und nur kurze Zeit. Sie konnte ihn nicht so gut kennen wie Stara es tat.

Selese, würde irgendwann darüber hinwegkommen und jemand anderen finden. Doch Stara würde niemals darüber hinwegkommen, ihn zu verlieren. Reece war ihr Leben, ihr Schicksal. Sie waren füreinander bestimmt. Reece gehörte ihr, und so wie sie es sah, wäre es Selese, die ihn ihr wegnahm und nicht umgekehrt. Stara nahm sich nur das zurück, was rechtmäßig ihr gehörte.

Davon abgesehen, hätte Stara auch keine andere Entscheidung treffen können, selbst wenn sie es versucht hätte. Was auch immer ihr Verstand für richtig oder falsch erklärt hatte, sie wäre ihm nicht gefolgt. Ihr ganzes Leben lang hatten ihr alle um sie herum – und das schloss auch ihren Verstand ein – erklärt, dass es falsch war, einen Cousin zu lieben. Doch sie hatte nicht auf sie gehört. Sie liebte Reece und betete ihn an. Das war schon immer so gewesen. Und nichts was irgendjemand tun oder sagen würde, konnte das ändern. Sie musste mit ihm zusammen sein. Für sie gab es keine andere Option.

Während Stara zusah, wie das Schiff am Horizont immer kleiner wurde, hörte sie plötzlich Schritt hinter sich. Sie drehte sich um und sah ihren Bruder Matus auf sich zukommen. Wie immer freute sie sich, ihn zu sehen. Stara und Matus waren ihr ganzes Leben lang beste Freunde gewesen. Die Tatsache, dass sie vom Rest der Familie ausgeschlossen und den anderen Inselbewohnern waren, hatte sie zusammengeschweißt. Beide verabscheuten sie ihre Brüder und ihren Vater. Stara hielt Matus genau wie sich selbst für kultivierter und edler, als die anderen; sie betrachtete ihre eigenen Familienmitglieder als verräterische und nicht vertrauenswürdige Wilde. Es war als ob Matus und sie eine Familie innerhalb der Familie waren.

Stara und Matus lebten auf unterschiedlichen Stockwerken im Kastell ihrer Mutter anstatt bei ihren beiden BrГјdern Karus und Falus im Schloss ihres Vaters zu leben. Nun, da ihr Vater im Kerker saГџ, war die Familie gespalten. Ihre beiden Г¤lteren BrГјder gaben ihnen die Schuld. Sie hatte Matus immer vertraut. Er hatte ihr immer den RГјcken freigehalten, und sie war genauso fГјr ihn dagewesen.

Die beiden hatten oft und lange darüber gesprochen, die Oberen Inseln zu verlassen und auf das Festland zu gehen, um sich den anderen MacGils anzuschließen. Und nun, endlich, hatte sie das Gefühl, dass all ihre Pläne wahr werden könnten, besonders nachdem die Inselbewohner wiederholt Gwendolyns Flotte sabotiert hatten. Stara konnte es nicht ertragen, länger hier zu leben.

„Mein Bruder!“, begrГјГџte Stara in frГ¶hlich.

Doch der Ausdruck auf Matus Gesicht war ungewöhnlich finster, und sie konnte sofort sehen, dass ihn etwas bedrückte.

„Was ist los?“, fragte sie. „Stimmt was nicht?“

Er schГјttelte missbilligend den Kopf.

„Ich weiГџ nicht was los ist, Stara.“, sagte er. „Unser Cousin. Reece. Was ist zwischen euch passiert?“

Stara wurde rot, wandte sich ab und blickte wieder aufs Meer hinaus. Sie bemühte sich, Reeces Schiff in der Ferne auszumachen, doch es war fort. Eine Welle der Wut überkam sie; wegen Matus hatte sie den letzten Blick versäumt.

„Das geht dich nichts an“, schnappte sie.

Matus war ihrer Beziehung zu ihrem Cousin schon immer ablehnend gegenübergestanden, und sie hatte genug davon. Das war der eine Streitpunkt zwischen ihnen, und er bedrohte ihre enge Beziehung. Ihr war egal was Matus – oder irgendjemand anderes – dachte. Es ging sie nichts an.

„Du weiГџt, dass Reece bald heiraten wird?“, fragte Matus anklagend und trat neben sie.“

Stara schГјttelte den Kopf, als ob sie diesen furchtbaren Gedanken aus ihrem Kopf vertreiben wollte.

„Er wird sie nicht heiraten“, antwortete sie.

Matus sah Гјberrascht aus.

„Und woher weiГџt du das?“, wollte er wissen.

Sie sah ihn entschlossen an.

„Er hat es mir gesagt. Und Reece lГјgt mich nicht an.“

Matus sah sie entsetzt an. Dann verdunkelte sich seine Miene.

„Hast du ihn etwa umgestimmt?“

Sie sah ihn trotzig und böse an.

„Ich musste ihn nicht umstimmen“, sagte sie. „Er wollte es so. Er hat die Entscheidung getroffen. Er liebt mich – hat mich immer geliebt. Und ich liebe ihn.“

Matus runzelte die Stirn.

„Und du fГјhlst dich nicht schlecht dabei, einem MГ¤dchen das Herz zu brechen? Wer auch immer sie sein mag?“

Sie sah ihn böse an. So etwas wollte sie nicht hören.

„Reece liebt mich schon viel lГ¤nger als dieses neue MГ¤dchen!“

Matus lieГџ nicht locker.

„Und was wird aus all den PlГ¤nen fГјr das KГ¶nigreich? Du verstehst hoffentlich, dass es nicht einfach nur eine Hochzeit ist. Es ist politisches Theater. Ein Spektakel fГјr die Massen. Gwendolyn ist die KГ¶nigin und es ist auch ihre Hochzeit. Das ganze KГ¶nigreich und Menschen aus allen mГ¶glichen LГ¤ndern werden da sein, um zuzusehen. Was wird passieren, wenn Reece so einfach absagt? Denkst du, die KГ¶nigin wird das so einfach hinnehmen? Und die anderen MacGils? Du wirst den ganzen Ring in Unruhe stГјrzen, sie gegen uns aufbringen. Ist dir deine Leidenschaft das Wert?“

Stara sah Matus kalt und hart an.

„Unsere Liebe ist stГ¤rker als irgendein Spektakel. Als jedes KГ¶nigreich. Du kannst das nicht verstehen, du hast noch nie eine solche Liebe empfunden.“

Matus wurde rot. Er schГјttelte wГјtend den Kopf.

„Du machst den größten Fehler deines Lebens“, sagte er. „Und Reece auch. Du wirst alle mit dir zu Fall bringen. Das ist eine nГ¤rrische, kindische und egoistische Entscheidung. Du hГ¤ttest deine kindische Liebe in der Vergangenheit begraben sollen!“

Er seufzte gereizt.

„Du wirst eine Nachricht schreiben und sie mit dem nГ¤chsten Falken an Reece schicken. Du musst ihm sagen, dass du deine Meinung geГ¤ndert hast und er dieses MГ¤dchen heiraten soll. Wer auch immer sie ist.“

Stara spürte eine unglaubliche Wut auf ihren Bruder in sich aufwallen, eine Wut, die grösser war, als alles, was sie je zuvor empfunden hatte.

„HГјte deine Zunge, Bruder!“, sagte sie. „Tu nicht so, als ob du mir einen Rat geben wolltest. Du bist nicht mein Vater. Du bist mein Bruder. Sprich noch einmal Гјber dieses Thema mit mir und es wird das letzte Mal sein, dass ich mit dir rede.“

Matus sah sie sprachlos an. Stara hatte noch nie so mit ihm gesprochen. Offensichtlich meinte sie, was sie sagte. Ihre GefГјhle fГјr Reece waren tiefer, als das Band, das sie mit ihrem Bruder teilte. Viel tiefer.

Matus war zutiefst getroffen. Er drehte sich um und verlieГџ ohne ein weiteres Wort das Dach.

Stara ließ ihren Blick wieder über das Meer schweifen, in der Hoffnung doch noch einen Blick auf Reeces Schiff erhaschen zu können. Doch sie wusste, dass es lange fort war.

Reece, dachte sie. Ich liebe dich. Bleib auf Kurs. Welche Widerständen du auch immer begegnen wirst, bleib auf Kurs. Sei stark. Sag die Hochzeit ab. Tu es für mich, Für uns.

Stara schloss die Augen und ballte ihre Hände zu Fäusten. Sie bettelte und betete zu jedem Gott der ihr einfiel, dass Reece die Stärke haben würde, ihrem Plan treu zu bleiben. Dass er zu ihr zurückkommen würde. Dass sie endlich für immer vereint sein würden.

Egal was es kosten wГјrde.




KAPITEL ZEHN


Karus und Falus, Tirus Söhne, liefen schnell die steinerne Wendeltreppe hinunter, tiefer und tiefer hinab zum Kerker, in dem ihr Vater saß. Sie verabscheuten die Demütigung, in den Kerker hinabsteigen zu müssen, um ihren Vater zu sehen, einen großen Krieger, der der rechtmäßige König der Oberen Inseln war. Im Stillen schworen sie jedes Mal Rache dafür.

Doch dieses Mal brachten sie Neuigkeiten, die vielleicht alles Г¤ndern wГјrden. Neuigkeiten, die ihnen endlich einen Grund zur Hoffnung gaben.

Karus und Falus marschierten zu den Kriegern, die vor der Tür zu seinem Kerker Wache standen. Männer, die der Königin treu ergeben waren, das wussten sie. Sie blieben vor ihnen stehen, rot vor Wut, dass sie immer wieder die Erniedrigung ertragen mussten, darum zu bitten, ihren Vater sehen zu dürfen.

Gwendolyns Männer betrachteten sie, als ob sie überlegten, dann nickten sie einander zu und traten vor.

„Streckt eure Arme aus“, befahlen sie Karus und Falus.

Unwillig streckten sie ihre Arme aus und lieГџen sich die Waffen abnehmen.

Dann öffneten die Männer das eiserne Tor und ließen sie ein. Schnell wurde es wieder hinter ihnen zugeworfen und verschlossen.

Karus und Falus wussten, dass sie nicht viel Zeit hatten; sie würden ihnen nicht erlauben, ihren Vater für mehr als ein paar Minuten zu sehen, und das einmal pro Woche, seit man ihn in den Kerker geworfen hatte. Bald würden Gwendolyns Männer ihnen befehlen, zu gehen.

Sie gingen zum Ende des langen Flurs. Alle anderen Zellen waren leer. Ihr Vater war der einzige, der hier im alten Kerker saГџ. SchlieГџlich erreichten sie die letzte Zelle hinten links, die nur schwach von einer flackernden Fackel erleuchtet war und lugten hinein.

Langsam kam Tirus aus einer dunklen Ecke zum Gitter und sah sie an. Sein Gesicht war ausgemergelt, sein Bart ungepflegt, seine Miene grimmig. Er blickte sie mit dem hoffnungslosen Ausdruck eines Mannes an, der wusste, dass er nie wieder das Tageslicht sehen wГјrde.




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